Farbenspiel – Der Sturm – Das Loch – Die Kranichinsel – Freunde – Köstlichkeiten – Auf der Farm – Wild – Feuer – Zwischenspiel – Stadt am Meer – Abschied – Stress, Regeneration und Reparaturen – Versorgung – Angst und Zuversicht
Orangerot und warm scheint mir der Feuerschein auf meine nackten Füße. Hinter diesem fließt das matte, an manchen stellen funkelnde Grau des geschwungenen, riesigen Felsens gemächlich in die Tiefe, hin zum See, der in etwas Entfernung im fahlen Schein der untergehenden Sonne silbriggrau und glatt vor uns liegt. Den Horizont durchstößt das scheckige Grün der wenigen, zarten und derberen Birken und Kiefern, die dem baren Fels unter ihnen gerade noch genug Wasser und Nährstoffe abtrotzen. Über ihnen zeichnet sich von unten nach oben erst das Rot der Abendsonne ab, die selbst von dicken, lilablauen Wolken verdeckt wird. Golden Gischt aus Licht brandet darüber in ein sanftes Hellblau, welches den nächtlichen Himmel dominiert. Von Westen rollt eine geschwungene, massiv wirkende Front an Regenwolken heran, die kleinen Inseln auf dem vor uns liegenden See zunehmend in Schatten zu tauchen. Es ist halb Elf und langsam vertieft sich die Ruhe, die über dem Land liegt, in Stille. Nur das flackernde Feuer zu meinen Füßen und die Birkenblätter, die im sanften Wind rascheln, sind noch zu hören. Heute ist der 30. Juni und dies ist unsere letzte Nacht in Finnland. Es ist Zeit, mal wieder etwas von uns hören zu lassen.
Den letzten Blogeintrag schrieb Lisa im Zelt an einem windgepeitschten, grünen Küstenzeltplatz südwestlich von Pärnu. Das war bereits am 12. Juni. Über einen halben Monat haben wir nun keines unserer Erlebnisse mit euch geteilt. Das hat verschiedene Gründe, doch vor allem die: zu viel Spaß, zu viel gute Gesellschaft und zu wenig Lust, Zeit an Tablet und Co zu verbringen. Unsere Tage in Estland – und auch die wenigen in Finnland bisher – waren einfach voll mit Leben. Einen großen Teil dessen verdanken wir „den Mädels“, die ihr später noch kennenlernen dürft. Einen anderen Teil verdanken wir der nicht untergehen wollenden Sonne, die uns die Abende, mit ihren späten Abendessen, immer wieder mit märchenhaften Sonnenuntergängen versüßte. Das wir keine Zeit zum Ausruhen oder Blogschreiben hatten, hatte auch noch andere Gründe, wie die zeitfressende Routine des Schlafsäcke-Lüftens, des Zelt-Zusammenpackens, des Wiederaufbauens und des allabendlichen Kochens und Spülens. Alles dauert auf Reise – zumindest bei uns – ein bisschen länger. Ich schätze, so ist das, wenn man aus Taschen lebt und jeden Tag weiterzieht. Ein anderer Grund für den Zeitmangel ist etwas formeller. Es ist das Visum für unseren maximal 30-tägigen Russlandaufenthalt, welches uns ein sich verknappendes Zeitfenster bis zum 1. Juli gibt, an die russische Grenze zu kommen – wollten wir diese 30 Tage ausreizen. Zwar kann ich vorwegnehmen, das wir diese Frist einhalten werden, jedoch sind wir in den vergangenen zwei Wochen hierin auch etwas entspannter geworden, wie ihr sehen werdet. Aber zur Sache jetzt…
Der Sturm
Bereits in der Nacht, nach dem Lisa den letzten Blogeintrag schreib, schob sich um etwa 3:00 Uhr eine Gewitterfront über uns. In Panik geraten darüber, dass es kaum Bäume oder größere Gebäude in der Nähe gab flüchteten wir durch den Regen in das nahe Saunahäuschen der Campingplatzbesitzer. Etwa eine halbe Stunde harrten wir hier aus, bis Chris herausfand, dass es sich um zwei Gewitterzellen handelte die je ein
paar Kilometer westlich und östlich von uns vorbeizogen. Der Regen ließ etwas nach und wir krochen um etwa 3:40 Uhr zurück in unsere Schlafsäcke. Es war schon hell.
Später an diesem Morgen machten wir uns nach einem warmen Porridge mit Zimt und Äpfeln und bei gutem Wetter und Rückenwind auf gen Süden. Schon witzig, dass das Gewitter Nachts landeinwärts zog und uns der Wind bis in den Nachmittag in die entgegengesetzte Richtung vor sich hin schob. Bis wir mit einem Mal auf einer Schotterpiste, links und rechts von Wasser umgeben, auf ein entgegenkommendes Gewitter zuhielten. Eine massive graublaue Wand, die sich über den gesamten Himmel wölbte, begleitet von einem undurchdringbar scheinenden Schleier aus starkem Sommerregen. Was tun? Wohin?
Wir fanden nur eine Lösung: Regenjacken und -hosen an und so schnell mittendurch wie nur möglich! … Pitschnass und etwas verfroren aber sonst unversehrt kamen wir am Fährhafen zur Insel Muhu an. An den wartenden Autos vorbei fuhren wir als erste in den Bauch des Schiffes, das uns auf die erste estnische Insel brachte. Es regnete unablässig weiter und wir fanden uns drübern in einer Bushaltestelle am Hafen wieder, den stärksten Regen abwartend.
Das Loch
Nach einer Nacht auf dem völlig überteuerten Campingplatz etwa einen Kilometer vom Fährhafen entfernt hakten wir die erste Insel in einer kurzen Direktfahrt entlang größerer Straßen ab, ohne mitzubekommen, was diese Insel überhaupt zu bieten hatte. Von den Klippen hier erfuhren wir erst später. Gegen Mittag radelten wir über eine lange, schmale, aufgeschüttete Brücke auf die größte der estnischen Inseln Saaremaa und kamen gegen Abend an die berühmten Meteoritenkrater der Insel, nach Kaali. Hier fanden wir mehrere kleine und einen gewaltigen Krater von Hundert Metern Durchmesser. Der runde felsige Schlund mit seinem seichten Weiher und dem hohen Wall gab einen einmaligen Eindruck davon, mit welcher Gewalt ein solches Stück Himmelseisen aufschlagen kann, wenn es den Weg durch die Atmosphäre übersteht. Etwas ehrfürchtig und beinahe andächtig saß Chris daher im Krater am Wasser, als Lisa ihn vom Kraterrand zu fotografieren verssuchte.
Die Kranichinsel
Wir übernachteten in einem nahen Wald auf weichem Moos, doch am morgen vertrieben uns rasch die Mücken und wir machten uns auf den Weg nach Kuressaare (wörtlich aus dem Estnischen Kranichinsel), der Inselhauptstadt. Wir erkundeten deren, von Baustellen gezeichnetes und dennoch sehr hübsches Zentrum mit den vielen bunt gestrichenen Holzhäusern und fanden uns sehr unerwarteter Weise – wir hatten uns vorher wirklich nicht informiert – im Vorhof einer alten Bischofsburg wieder, der Arensburg (Adlerburg) aus dem mittelalterlichen, deutschsprachigen Bistum Ösel-Wiek. Die große, recht einfach wirkende Burg ist von prächtigen gemauerten und grün bewachsenen Wallanlagen umgeben und geschützt durch einen Wassergraben. Dieses Ensemble zwischen Stadt und Strand war sehr schön anzusehen – und auf die Ohren sollte es wohl auch geben, wurde hier doch eine große Bühne aufgebaut.
Freunde
Nachdem wir – wiedermal erfolglos – nach WarmShowers und Couchsurfing-Host gesucht haben, suchten wir den etwas abseits gelegenen, aber sehr hübschen, kleinen Campinggplatz der Stadt auf und ließen uns für die nächsten zwei Nächte hier nieder. Wir hatten gerade unser Zelt aufgebaut und fingen an etwas zu kochen, als plötzlich zwei fremdartig vertraute Gesichter auf dem sonst menschenleeren kleinen Platz inmitten der Siedlung auftauchten. Es waren Clara und Friedi, zwei „Mädels“, wie Lisa sie fortan nannte, die wir bereits in Riga auf dem Zeltplatz antrafen. Wir begrüßten uns freudig und machten etwas Platz für ihr Zelt. Auch sie hatten vor, die nächsten beiden Nächte hier zu verbringen und den Sonntag als Pausetag in der Stadt zu verbringen. Wir quatschten, spielten Rommé und snackten unsere gemeinsamen Süßigkeiten, bevor wir ungewöhnlich spät zu Bett gingen.
Unser Pause-Sonntag war sehr gemütlich, wir schlenderten durch Stadt, Park und Burg, lauschten den Proben Ivos für die erste Station seiner 70 Jahre Geburtstagstour (IFF70). Scheint wohl DER estnische Schlagersänger zu sein. Nach zwei gemütlichen Stündchen am Strand und einer Erkundungsfahrt auf den halbinselförmigen Ausläufer südlich der Insel. Dann trafen wir uns mit Clara und Friedi. Wir hatten uns zum Kochen und vorherigen Einkaufen dafür verabredet. Außerdem brauchten wir vier je ein paar Vorräte für die anstehende Tour weiter um die Insel. Im Maxima, einem der größten Supermärkte, die hier auch Sonntag geöffnet haben, gönnten wir es uns so richtig. Zwar gibt es sogar einen kleinen Bioladen in der Stadt, doch dessen Preise sind nochmal doppelt so hoch wie in einem normalen, bereits recht teuren deutschen Biomarkt. Schade, Bio ist hierzulande nur etwas für Gutverdiener oder idealistische Hungerkünstler.
Köstlichkeiten
Zurück auf dem Campingplatz machten wir uns ans Werk, schnibbelten Zwiebeln, brieten Zucchini und Aubergine, schnitten Tomaten und Essiggurken, wuschen Salat, warfen auch den Halumi in die Pfanne und toasteten unsere Burgerbuns. Auch Erdbeeren und Joghurtquark (hier etwas seltsam anmutend in Wurstform verpackt) wurden angerichtet und bildeten unseren köstlichen Nachtisch. Was für ein wunderbares, von Genusseufzern durchzogenes Abendessen. Wunderbar!
Zum abendlichen Romméspiel überraschten wir unsere neuen lieben Freundinnen mit einem Tütchen veganer Bio-Lakritze aus dem Fachmarkt, da sie uns von ihrer Vorliebe und Sehnsucht nach der schwarzen Süßholz-Zuckermasse erzählt hatten. Es war schön jemandem mal wieder eine kleine Freunde bereiten zu können.
Auf der Farm
Am Morgen darauf kamen wir nach einem etwas dekadenten Frühstück mit Ei, Kakao und Erdbeeren recht spät vom Platz los. Da wir die gleiche Route fuhren und wir uns womöglich bald ohnehin wiedertreffen würden, fuhren Clara und Friedi schonmal los. Kurz darauf, nach unserer ersten unheimlichen Begegnung mit einem Menschenfloh, der uns seit unserem letzten Bett in einem Bungalow begleitet haben muss und den wir zum Glück hier wieder los wurden sowie einer kleiner Kettenputzaktion auf dem Campingplatz, brachen auch wir auf. Und tatsächlich. Nach etwa 67 km fanden wir die Mädels auf dem selben „Campingplatz“wieder, den auch wir ansteuerten. Anni Farm war eigentlich kein Campingplatz, eher eine Gruppe hölzerner Langhäußer mit Reetdächern, die man als Gruppe mieten konnte. Aktuell wurden sie von einer Forschungsgruppe der Universität bewohnt. Wir fanden einen Platz auf einer Kiefern und Wacholder bestanden Wiese am anderen Ende des Grundstücks. Wir sprengten etwas das gewöhnliche Buisness des Betreibers, der in der Küche schwer am Schaffen war, um seine Gäste mit Abendessen und Kuchen zu bewirten. Dreist fragten wir, ob wir auch die Küche benutzen dürften, in der noch sein Abwasch stand. Wir durften, wären aber auf unseren Benzin- / Gaskochern vermutlich schneller gewesen. Immerhin spülen konnten wir und den Wasserkocher benutzen. Alles in allem war es ein sehr schöner Abend auf der liebevoll gestalteten kleinen Gäste-Farm.
Am nächsten Morgen fanden wir unseren Gastgeber sehr abgespannt und wortkarg in der Küche wieder, wo er das Frühstück für die Gruppe richtete. Wir waren zu geizig die je fünf Euro für diesen Service zu zahlen und hatten Proviat, den es zu verputzen galt. Ich hätte wirklich gerne mitgeschlemmt an diesen reich gedeckten Tischen, doch wurde ich überstimmt. Als wir für unseren Porridge Wasser in der Küche kochen wollten, machte der Betreiber einen gereizten Eindruck. Erst auf Clara, dann auf mich, als ich den Kocher herausholte. Wir fragten uns, ob er sich über unsere Dreistigkeit ärgerte und wir nicht willkommen waren und machten uns Vorwürfe dafür. Ich erinnerte mich an Wazlawicks Hammer-Geschichte (Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein) und erzählte sie den anderen. Und siehe da, nach dem Frühstück sprach ich den Mann darauf an und er lachte nach einer Pause des Verstehen-Suchens auf und erklärte mir, dass es nicht an uns läge. Er war seit 3 Uhr morgens wach und gedanklich damit beschäftigt, wie er die nächsten Wochen meistern sollte. Seine Köchin kann nicht kommen und so muss er drei Mahlzeiten täglich für die Gäste kochen, was ihn vor enorme logistische und körperlich-geistige Herausforderungen stellte. Der Arme. Ich wünschte ihm viel Kraft und eine baldige Lösung für das Problem und verabschiedete mich herzlich von ihm. Ich hätte ihm gerne geholfen, konnte so aber wenigstens den Mädels helfen, ihre falschen Befürchtungen über Bord zu werfen.
Wild
Von hier an fuhren wir gemeinsam: Clara, Friedi, Lisa und ich. Erst erkundeten wir den Nationalpark im Nordwesten der Insel mit seinen von den Strömungen ständig wandelnden Küsten und Sandbänken, den wilden Rosen und tausenden Schmetterlingen, dem See, den ehemaligen Kiefernforsten und den ins Meer gedrängten, schiefen und ausgedieten Leuchtturm. Von hier aus setzten wir unsere Reise gen Osten fort und schafften es nach weiteren 80km (insgesamt 95 Tageskilometer) noch so rechtzeitig an den Fährhafen, dass wir dort sogar noch ein leckeres Pasta-Gemüse-Käse-Abendessen kochen konnten. Da die Fähre, die uns zur dritten Insel, nach Hiiumaa) bringen sollte, dann schon in Sichtweite war, verputzten wir das ganze recht schnell und packten ungespült alles in Tüten, um unsere Räder noch rechtzeitig ins Schiffsinnere zu rollen.
Auf der Fähre machten wir eine interessante Entdeckung. Hier gab es auf den Tischen Karten der Inseln abgedruckt und auf diesen Karten fanden wir vor allem eine kleine, aber sehr hilfreiche Markierung, die uns die kommenden Nächte versüßte, das Kürzel RMK. Dies ist die Abkürzung der Estnischen Forstverwaltung und diese wiederum betreibt im ganzen Land kleine Zeltplätze, die umsonst genutzt werden dürfen. Hier gibt es meistens ein Plumpsklo, Feuerstellen, Tische, Bänke und manchmal sogar Feuerholz dazu. Diese Pätze steuerten wir in den kommenden Nächten wiederholt an – und fanden so manche wunderbare Aussicht auf den Sonnenuntergang.
Zwischenspiel: Es ist inzwischen – zum Zeitpunkt als ich dies schreibe – fortgeschrittener Vormittag. Lisa hat bereits das Zelt und die Schlafsäcke zusammengeräumt und richtet das Frühstück, um mir Zeit zum Schreiben zu geben. Ja, das hier zu schreiben kostet wirklich viel Zeit. Deshalb ziehe ich ab hier das Tempo ein wenig an.
Die Insel Hiiumaa umrundeten wir in zwei Tagen. Die erste Nacht verbrachten wir noch
auf einem – in meiner Karte als Campingplatz verzeichnetem – Grundstück mit Bungalows, IN einem Bungalow, da das Zelten nicht gestattet war. Das war zwar etwas teurer als ein normaler Zeltplatz, zu viert aber konnten wir uns auch das leisten. wir genossen die Nacht in Betten und radelten am nächsten Morgen zu einem großen, uralten Leuchtturm. Unterwegs hatte Lisa den zweiten Platten der Reise. Wir machten Pause, lagen in der Sonne und reparierten das Rad. Just in dem Moment wollte eine Frau mit ihrem Auto vorbei. Wir ließen sie passieren und sie kurbelte das Fenster herunter und bot uns an, sollten wir etwas brauchen, zu ihnen zu kommen. Wir saßen in ihrer Einfahrt, wie wir feststellten. Ich ging zum Händewaschen und Flasche auffüllen und lernte dort zwei sehr süße ältere Mitmenschen kennen. Die Estin, die viele Jahre in Schweden arbeitete, sowie ihren dänischen Mann. Sie sprachen sehr gut Englisch und gaben uns ihre Nummer, sollten wir nochmal Probleme haben. Zum Glück jedoch hatten wir keine und fanden für die Nacht sogar den schönen, ja schönsten Zeltplatz der Reise, den sie uns empfohlen. Ebenfalls ein RMK-Platz.
Tagsdrauf setzten wir aufs Festland über und fuhren einen kommerziellen Campingplatz an Haapsalu an. Wir erkundeten die Stadt, saßen unerlaubterweise in der Sauna des Platzes und genossen viel gutes Essen zu viert. Haapsalu ist zwar eine schöne Stadt, doch nach einem Pausetag hier fuhren wir dennoch weiter, um Mittsommer andernorts zu verbringen. Wir verbrachten eine weitere Nacht auf einem RMK Platz bei Keido. Hier kamen einige Esten hin, um das Mittsommer-Wocenende hier zu verbringen. Auch zwei techno-affine kleine Familien, die mich auf meine Bitte hin, die Musik abzustellen (ALLE waren in ihren Zelten und schliefen oder versuchten dies – außer sie), zu Bier, Kuchen und Gesprächen über Estland , Mitsommer und Techno-Szene Estlands einluden.
Feuer
Eigentlich war unser Plan, nach einer Begegnung mit einem schweizstämmigen Neu-Esten, die Feierlichkeiten in Keila aufzuchen, doch unterwegs nach Keila-Joa, wo es schöne Wasserfälle geben sollte fragten wir in einem Restaurant, wo wir unsere Wasserflaschen auffüllen ließen – sehr freundlich! – nach Feierlichkeiten in der Nähe und wurden nach Lohusalu gewiesen. In dem kleinen Küstenort soll es am Hafen ein großes Feuer geben. Gesagt getan, wir fuhren dorthin und suchten uns einen Zeltplatz für die Nacht. Später am Abend erfuhren wir jedoch, dass unser Zelt am Rand eines Parkplatzes steht, der sich dann auch prompt füllte. Also würde unser Zelt auf einem Parkplatz stehen. Auch gut. Was noch weniger erfreulich war, war die Tatsache, dass man von uns 15 Euro pro Person verlangte, um aufs Festgelände zu kommen. Hier würde es ein rießiges Feuer und Konzerte geben. Wir verzichteten und betrachteten das Spektakel und die Feuersäule vom abseitsgelegenen Strand mit Schokolade. Ich hatte den Mut – oder Verdruss – durchs Wasser der Bucht auf das Festgelände zum Feuer zu waten. Ich wollte es aus der Nähe sehen. Es war unglaublich heiß auf den runden Steinen der Hafenbefästigung.
Wir genossen den Abend zu viert, tollten am Strand, betrachteten den Sonnenuntergang und kamen auf dem Rückweg letztlich doch noch an einem weiteren großen Feuer vorbei, um das sich eine Gruppe von 6 Personen und 2 Kindern aufhielt. Wir gesellten uns, mit ihrer Erlaubnis, zu ihnen. Wenig später tranken wir Wodka, Cocktails, Bier und aßen Gurken, Oliven und Käse. Lisa und ich blieben hier sicher noch zwei Stunden, bevor wir Clara und Friedi zu den Zelten folgten, auf dem sich leerenden Parkplatz.
Völlig verkartet startete ich mit den Mädels nun in den ersten kürzeren Tag nach der Sonnenwende und wir fuhren nach Keila-Joa. Dort angekommen ging es mir schon viel besser. Wir genossen die Gischt des Wasserfalls, die Füße im kalten Nass, die Sonne auf unseren Gesichtern – die Fritten auf unseren Tellern am Touri-Restaurant. Heute ging es noch nach Tallinn. Friedi hatte uns schon eine Unterkunft für zwei Nächte gecheckt, ein übergroßes Hostelzimmer für vier in einem wunderschönen Altbau, in das wir gemeinsam mit unseren vier Rädern locker hineinpassten.
Lisa schreibt weiter. Zwischenspiel: wir befinden uns in einem Tankstellen-Café kurz vor der Grenze zu Russland. Bis dahin ist recht viel passiert. Heute morgen haben wir nach dem Frühstück den Blogeintrag bereits fertig geschrieben, Bilder hochgeladen und wollten alles gerade veröffentlichen, als WordPress versagte und kurz darauf alle Akkus (beide Handys und Tablet sowie beide Powerbanks) schlapp machten und die Hälfte des Blogeintrags – tataaaa – verschwunden war. Ab hier ist also mein zweiter Versuch das Geschehene zu beschreiben, ich kann nicht versprechen, dass es mir noch einmal so gut gelingt. Recht verzweifelt machten wir uns auf den Weg Richtung Osten. Diesmal wirklich ohne jegliche Navigation. Wie ihr ja jetzt wisst, haben wir es bis zur Grenze geschafft – das schonmal vorweggenommen. So jetzt weiter im Text…
Stadt am Meer
In Tallinn angekommen gönnten wir uns in unserem Luxuszimmer eine Dusche. Frisch und munter, jedoch mit einigermaßen „Knast“ wie die Mädels sagen würden, entschieden wir uns Pizzaessen zu gehen. Ich denke das war das erste Mal auf dieser Reise, dass wir nach dem Essen nicht mehr über mehr Essen nachdenken, geschweige denn das Wort „Käse“ in den Mund nehmen durften. Nicht dass es nicht gut geschmeckt hat – die Pizza war lecker. Es war nur unglaublich viel. Nach diesem Schlemm-Erlebnis machten wir uns auf, um die alt-ehrwürdige Stadt im schönen Abendlicht noch etwas zu erkunden. Wir Mädels waren jedoch sehr schnell erschöpft und entschieden zurück ins Hostel zu gehen, während Chris alleine weiter zog und begleitet von einem Igel und Apple-Cider noch Aussicht und Feuerjonglage genoss.
Am nächsten morgen waren wir fest entschlossen Tallinn noch besser kennenzulernen. Das zog sich etwas, da wir vorher noch Wäsche waschen und das Ticket für die Fähre nach Helsinki am nächsten Tag buchen wollten. Nach einem oder mehreren kleinen Wutausbrüchen konnten wir uns dann doch auf den Weg machen. Die anschließende Free-Tour Stadtführung hob die Stimmung und auch wenn Chris die Altstadt Tallinns schon zum großen Teil erkundet hatte, wurden unsere Eindrücke von der jungen sympatischen Führerin um viele Sagen und Legenden bereichert. Vollends versöhnt wurden wir mit dem Tag, als wir uns am Abend mit den Mädels zum Abschiedsessen im veganen Restaurant trafen.
Abschied
Nach einem super leckeren Abendessen (ohne Käse, stattdessen Bowls und Burger mit Süßkartoffel-Pommes) wurden wir von den beiden Dresdnerinnen noch einmal ziemlich überrascht. Sie hatten die Zeit, die sie mal wieder auf uns warten mussten, genutzt und uns ein wunderschönes, sehr kreatives Abschiedslied gedichtet. Aber nicht genug, sie versorgten uns mit Honig, Tee und getrockneten Aprikosen. Außerdem wechselte Claras Talisman die Besitzer und soll uns auf der weiteren Reise begleiten. Wir hatten beide Pipi in den Augen und der Abschied sollte uns nur noch schwerer fallen. Zuguterletzt schauten wir uns, zurück im Hostel, die Bilder der gemeinsamen Zeit an, lachten und quatschen, bis uns die Augen zufielen. Ein rundum gelungener Abend mit zwei guten Freundinnen.
Stress, Regeneration und Reparaturen
Am nächsten Tag ging es für die Mädels weiter in den Nationalpark im Osten Estlands und für uns mit der großen Fähre nach Helsinki. Es war beeindruckend mit den kleinen Rädern in den riesigen Bauch eines solchen Schiffes zu fahren. Ich hatte etwas Angst, dass wir die Räder nicht wieder finden würden. Es ging dann aber alles gut und wir kamen bei Sonnenschein an der Seefestung vorbei und in Helsinki an. Trotz aller Bemühungen hatten wir am Abend jedoch noch keinen Schlafplatz für die Nacht. An dieser Stelle vielen Dank an Daniel, der zuhause alle Hebel in Bewegung setzte. Etwas verzweifelt und auch fröstelnd, da es inzwischen angefangen hat zu nieseln, gönnten wir uns am Abend im Vapiano eine Pizza (womit wir die Wette wohl gewonnen haben als nächste wieder Pizza-Hunger zu verspüren). Außerdem war die 14Euro Vapiano-Pizza noch das erschwinglichste was wir finden konnten. Wir entschlossen uns dann doch ein Hostelzimmer, das ziemlich teuer, aber auch ziemlich schick war, zu buchen und nicht auf der Parkbank zu enden.
Der nächtste Tag sollte also herhalten, um Helsinki gebührend zu betrachten. Aber auch hier gab es vorerst andere Prioritäten und wir schleppten unsere Räder zum nächsten Radladen, um sie für die kommenden paar Tausend Kilometer in Asien fit zu machen. Etwas erschrocken mussten wir erfahren, dass die Reperaturzeit gerade bei ca. zwei Wochen liegt und sie uns leider nicht hineinschieben konnten. Der Mechaniker war jedoch so freundlich unsere Räder einem kostenlosen Fünf-Minuten-Check zu unterziehen und uns zu sagen, was dringend repariert werden muss. Bei meiner Kette war dann er es, der etwas erschrocken wirkte. Er meinte die Kette müsste „immediatly“ gewechselt werden. Bei seinem Gewicht und seiner Kraft würde sie wohl direkt zerspringen. Er erklärte uns dann noch bei welchen Mechanikern wir es probieren könnten und dort hatten wir dann auch Glück. Zwei Stunden später waren die Räder repariert und mit neuem, sicheren Fahrgefühl konnte es weiter gehen. Wir nutzen die Zeit, um die Touri-Atraktionen und Second-Hand-Läden abzuklappern und mir viel es wirklich sehr schwer nicht noch mehr Geld ausgeben. Wie gerne hätte ich mir ein Kleid gekauft… Aber wie mitnehmen, wann anziehen? Die Vernunft siegte und das Kleid blieb im Laden. Die 25 Euro investierte ich dann in den Differenzbetrag von Schwalbe zu Continental-Mänteln. Wahrscheinlich besser investiertes Geld. Die Räder sind also wieder fit und die Geldbeutel leichter. Das ergänzt sich doch ganz gut, sollten wir dementsprechend schneller voran kommen.
Versorgung
Am späten Nachmittag erwartete uns unsere WarmShowers-Gastgeberin Laura und bereicherte uns in dem sie ihr Zimmer und einige Informationen über Helsinki und das schöne Finnland im Allgemeinen mit uns teilte.
So richtig entspannen konnten wir dann jedoch erst am nächsten Tag, als es wieder aus Helsinki hinaus ging. Das war der Tag, an dem wir mit dieser sehr schönen Stadt versöhnt wurden. Mit den vollbepackten Rädern fuhren wir am Hafen entlang über viele kleine Inseln aus der Hauptstadt Finnlands hinaus und waren beeindruckt von so viel Grün und so gut ausgebauten, wunderschönen Fahrradwegen. Helsinki ist eine Reise wert. Auch (oder vielleicht besonders) abseits der touristischen Sehenswürdigkeiten.
Der Weg Richtung Osten führte uns nach Porvoo, einer süßen, kleinen Stadt mit schmalen Gassen, skandinavischen Holzhäuschen und bezaubernden Lädchen. Es ist das Weimar Finnlands, die Dichterstadt der Finnen und ebenfalls touristisches Ausflugsziel. Wir kamen am Abend bei Sonnenuntergangsbeleuchtung an und hatten das Privileg die Stadt recht verlassen und ruhig vorzufinden. Wir schauten uns noch eine Weile um, bevor wir unser Zelt im nahe gelegenen Burg-Park aufschlugen (ein Tipp von Laura). Am nächsten Morgen waren wir dann recht überrascht, wo denn die ganzen Touristen herkamen, um die Straßen zum überlaufen zu bringen. Jetzt musste man doch etwas nach den kleinen Gassen und Läden ausschau halten, um sie zwischen alle den Menschen finden zu können. Wir erfuhren von einem Konzert im Hinterhof der Touri-Info und entschlossen kurzerhand Maija Kauhanen und ihrem Mittelfinnischen-Zupfinstrument zu lauschen. Es war wunderschön.
Recht spät am Nachmittag machten wir uns auf den Weg und fuhren noch bis spät am Abend, um einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Aber es hat sich gelohnt. Direkt am See, einem privaten, aber öffentlich genutzten Strandabschnitt konnten wir unser Zelt aufschlagen und am nächsten Morgen in den See springen. Erfrischt und sauber ging es weiter, obwohl wir eigentlich gerne noch einen Tag geblieben wären. Aber wir wollten ja am 01.07. die Grenze überschreiten. Am Nachmittag trafen wir einen anderen Radwanderer aus Wales an einem öffentlich Teppich-Wasch-Platz mit Toiletten. Während Chris sich mit Dickon unterhielt, nutzte ich die Gelegenheit, um ein bisschen Wäsche zu waschen – wie praktisch! Wir erfuhren auch diese Nacht Gottes Versorgung mit einem wunderschönen Platz zum Schlafen – Schutzhütte, Essplatz mit Aussicht, Feuerstelle und Wasserkanister inklusive. Und hier schließt sich der Kreis.
Angst und Zuversicht
Wenn wir es heute noch über die Grenze schaffen wollen, sollte ich jedoch jetzt Schluss machen 🙂 Ich bin mir sicher auch diese Nacht werden wir behütet ein Plätzchen zum Schlafen finden. Wir sind immer noch etwas nervös wegen des Grenzübertritts, doch inzwischen mit geladenen Akkus und Hummeln im Hintern kann es getrost weiter gehen. Bleibt zu sagen: Danke, dass ihr den langen, langen Text bis hierhin gelesen habt. Wir hoffen das nächste Mal dauert es nicht so lange bis wir von uns hören lassen 🙂
Eine kleine organisatorische Info zum Schluss: wir werden ab jetzt eher über Chris Nummer erreichbar sein (Whatsapp, Telegram oder Mail).
Vielen Dank für die schöne Karte und diesen ausführlichen Bericht. Wir genießen es sehr, von euren Abenteuern zu lesen und beten, dass ihr weiterhin behütet bleibt!