(von Lisa)
Ihr schönen Menschen,
es wird Zeit, dass wir mal wieder etwas von uns hören lassen – auch, weil es uns hilft zu reflektieren, was in der letzten Zeit so passiert ist. Momentan sitze ich bei schönem Sonnenschein, aber sehr starkem Wind, im Zelt und genieße es, dem Rauschen des Schilfs und der Wellen zu horchen. Ich bin dankbar dafür, im Zelt sitzen und können – denn draußen wird es durch den Wind doch recht frisch. Es gibt generell viele, viele Dinge für die wir dankbar sein können. Das ist eine Sache, auf die wir versuchen während der Reise immer mehr zu achten – wofür können wir dankbar sein? Angefangen damit, dass wir diese Reise nicht alleine, sondern zu zweit machen dürfen und viele tolle Menschen kennenlernen (tatsächlich viele deutsche Radfahrer, die ähnliche Pläne haben wie wir). Dankbar für das schöne Wetter, für die frische, duftende Luft nach dem Regen, für die Dusche nach einem langen heißen Fahrradtag, für einen Supermarkt genau zum richtigen Zeitpunkt, um Wasser und Essen zu besorgen, für Mückenspray und Sonnencreme, für saubere, trockene Wäsche, für eine richtige Toilette, für einen Wasserkocher (tolle Erfindung und es ermöglicht wirklich viel Luxus, so ein Teil!)… Diese Liste könnten wir immer weiter führen. Was mir aber in der letzten Zeit sehr wichtig geworden ist, ist die Dankbarkeit dafür, dass wir in einem Land, ja auch einem Kontinent leben dürfen, in dem Frieden herscht. Was für eine unglaubliche Freiheit, die wir in Europa haben! Wir können ohne Grenzkontrollen von einem Land ins nächste fahren. Und auch wenn wir Menschen begegnet sind, die uns etwas schräg angeschaut haben, so ist der überwiegende Teil derer, denen wir begegnet sind freundlich, offen und hilfsbereit. Europa und die europäische Gemeinschaft ermöglicht Freiheit. Eine Freiheit und ein Frieden, den ich nicht missen möchte. Auf dem Weg durch Polen, Litauen und Lettland sind wir nicht umhin gekommen, uns auch mit der deutschen Geschichte zu beschäftigen. (Oh… eigentlich wollte Chris, dass das ein extra Themeneintrag wird, aber wo ich schon dabei bin…) Es ist unglaublich zu sehen wie viele Städte und Regionen deutsche Namen getragen haben, wie viele Menschen nach dem zweiten Weltkrieg fliehen mussten – Haus und Hof mit allem Besitz hinter sich lassen. Wir haben uns (dank Tina) etwas mit den Wolfskindern beschäftigen können – Kinder, die mit ihren Familien nach dem Krieg von Königsberg (Kaliningrad) in Arbeitslager transportiert werden sollten und dabei ihre Eltern verloren haben. Heimatlos und alleine schlugen sie sich durch die Wälder Litauens und kämpften ums überleben. Viele wurden von litauischen Familien versorgt – obwohl das unter Strafe stand. Sich alle dem bewusst zu werden während man mit dem Rad durch diese Länder fährt ist beeindruckend und erschreckend zugleich. Auch hier können wir dankbar sein. Welch einen Luxus transportieren wir auf unseren zwei Rädern? Welch ein Luxus ist es, zwei Räder zu besitzen! Es mangelt uns an nichts – im Gegenteil, manchmal habe ich eher das Gefühl, dass wir noch mehr dabei haben, als wir eigentlich brauchen. Dieses Gefühl der Dankbarkeit möchte ich gerne tief in mein Inneres schreiben. Ich denke, es hilft dabei zu verstehen wie kostbar Frieden ist, wie kostbar Gesundheit ist und Versorgung und dass es alles andere als selbstverständlich ist. Es lohnt sich für diesen Frieden zu kämpfen und wir dürfen ihn unter keinen Umständen aufgeben! Die beiden Hörbücher, die ich während des Radfahrens hörte, haben diese Eindrücke nur bestätigt („Die Hungrigen und die Satten“ von Timur Vermes sowie „NSA“ von Andreas Eschbach). Ich möchte gerne weiterhin in einer Welt leben, in der ich mich frei bewegen kann, meine Meinung frei äußern kann. Was für ein Privileg ist es, dass wir Menschen einen Zufluchtsort geben können, die aufgrund von Kriegen aus ihren Ländern fliehen mussten! Was für ein Privileg, dass wir so viel haben, dass von unserem Reichtum abgeben können und immer noch mehr als genug übrig bleibt! Was für ein Privileg, dass wir uns keine Gedanken darüber machen müssen, was wir morgen essen, ob wir etwas zu trinken finden, ob wir ein Dach über dem Kopf haben oder nicht und was wir tun, sollten wir krank werden.
All diese Gedanken werden sich mit Sicherheit auf der Reise noch weiter vertiefen, bestätigen. Ein kleiner Einblick in meine wirre Gedankenwelt – mir lag es jedoch auf dem Herzen, das zu teilen.
So und jetzt zum eigentlichen Blogeintrag:
Litauen – das südlichste der drei Baltikumländer. Es ist das Land der Störche und der kleinen Holzhäuser. Es gibt viele große Felder – Agrawirtschaft. In Jurbakas haben wir auf einem sehr familiären Campingplatz bei Arunas und Elena übernachtet und haben uns dann entschieden direkt nördlich nach Riga weiterzufahren. Wir sind nicht mehr über Klaipeda an die Küste gefahren, was wir im Nachhinein etwas bedauert haben. Was ziemlich großartig in allen drei Ländern ist, sind die freien Campingplätze an den Seen und entlang der Flüsse – gemähte Wiesen, Plumpsklo und überdachte Bänke mit Tischen. Mehr braucht es auch nicht. Wir konnten bei diesen Gelegenheiten einfach im See baden oder uns im Fluss waschen – herrlich. Auf einem Campingplatz lernten wir dann drei französische Ehepaare kennen, die mit ihren Campern unterwegs waren. Diese luden uns spontan zum Apperetiv ein und es wurde ein lustiger Abend – bei dem ich den Gesprächen gerade so folgen konnte. Chris hat sich sehr wacker geschlagen – wobei ihm das französisch immer schwerer fiel, je mehr Alkohol er nachgeschenkt bekam.
Lettland machte den Eindruck als wäre es ein wenig wohlhabender als Litauen. Die Straßen wurden besser, die Häuser sahen gepflegter aus. Wir erreichten am zweiten Tag Riga – die wunderschöne Hauptstadt Lettlands. Und da wir schon ein paar Tage auf den Rädern untwergs waren, machten wir eine Pause. Die erste Nacht verbrachten wir auf dem schäbigen Campingplatz mitten in der Stadt (ein Messeparkplatz, das Duschen und WCs im Messegebäude anbot). Da wir kurz zuvor unseren 5. Hochzeitstag hatten, dachten wir, dass wir uns etwas mehr Luxus gönnen könnten und buchten für zwei weitere Nächte ein Hostelzimmer. Als wir am zweiten Nachmittag/Abend die Stadt erkunden wollten (nach Wäsche waschen und einkaufen), stolperten wir in die „Nacht der Kirchen“ hinein. Ich meinte noch etwas genervt schmunzelnd zu Chris, ob wir uns jetzt jede Kirche in Riga anschauen würden, als er an der St Gertrude Church stehen blieb und hinein wollte. Dort wurde ein wunderschönes Konzert mit Chor und Blasinstrumenten gespielt und wir blieben eine Weile und hörten begeistert zu. Danach schauten wir uns noch die Kirche der Adventisten (dort gab es veganes Eis), die Kathedrale der Orthodoxen, die St. Johns Church und den Dom an – also fast alle Kirchen der Altstadt. Das war eine schöne Überraschung, denn in den vielen schönen Kirchen gab es unterschiedliche Konzerte und Lesungen (wobei wir von Letzeren nichts verstanden). Es war eine tolle Möglichkeit die Stadt auf diese Weise kennenzulernen und es war ein krasser Kontrast zu der sonst herrschenden ausgelassenen Feierstimmung in der aufgeheizten Altstadt. Wir haben super lecker und sehr günstig gegessen in Riga und in einem der vielen Parks die Seele baumeln lassen. Kurzgesagt: wir haben das Stadtleben mit allen Vorzügen genossen. Pfingstmontag fuhren wir dann erstmal zum nächsten Fahrradladen, um den vierten Fahrradständer für Chris Rad zu besorgen (es scheint so als würden wir in jedem Land einen Ständer kaufen müssen…). Von Riga aus sind wir noch zwei Tage nach gefahren, um die estnische Grenze zu erreichen. Auf dem Weg trafen wir Jörg, mit dem wir die letzten zwei Tage gemeinsam fahren durften – es war uns eine Freude! Einen Großteil der Wege fuhren wir an den großen Landstraßen (eine Art Autobahn) entlang, zum Teil gab es auch Radwege. Mit einem guten Hörbuch oder Musik im Ohr vergeht die Zeit an den großen Straßen recht schnell und der Vorteil ist, dass wir auf den gut asphaltierten Wegen rasch voran kommen.
Estland – gefällt mir bisher von den drei Baltikumländern am besten – es scheint mir momentan etwas teurer zu sein, als der Rest, aber es gibt super schöne Radwege und die Häuser haben eher einen skandinavischen Einschlag. Heute sind wir über die Stadt Pärnu gefahren und mussten uns leider von Jörg verabschieden, der den geraden Weg nach Tallinn nimmt. Wir fahren an der Küste entlang und über die Inseln nach Tallinn – haben ja etwas Zeit in Litauen gespart. 🙂 Ich bin gespannt, was dieses schöne Land noch für uns bereit hält und welche Begegnungen wir haben werden. So langsam rückt dann auch die Frage näher, was wir mit den Räder machen, wenn wir am 1. Juli Russland betreten. Radfahren macht viel Spaß und ich muss sagen, dass ich auf den Geschmack gekommen bin. 🙂