In den Bergen Chinas

Die Tischdecken der Nachbartische tropfen noch. Es ist frisch. In Regenjacken, Pullies, Wollsocken und langen Hosen sitzen wir auf einem der trocken gebliebenen Sofas der Dachterrasse in Stefans Absteige „Glad Inn“ in Kunming. Während Lisa die letzten Seiten ihres Romans beendet, streichelt ihre Hand unablässig das kleine schwarze Katzenjunge auf ihrem Schoß. Über Kopfhörer, die wir uns teilen, lauschen wir sanfter Indie-Folk Musik. Das Prasseln des Regens ablösend übertönt es nun das einsetzende Klappern der kleinen Tastatur auf Chris Beinen. Mit einem Lächeln bemerkt Chris durch einen Seitenblick etwas Schokocreme vom Mittags-Snack-Baguette an Lisas Mundwinkeln – manche Dinge ändern sich nie. Und das ist schön. Über drei Wochen ist es nun her, dass wir an eben diesem Ort saßen. Und nur etwa zwei Tage weiter zurück liegt unser letztes Update an euch.

Yangshou – Guilin – Kunming
Bekannte Sicherheit, sichere Bekanntheit – Heckmeck mit Zug und Gepäck – Highspeed nach Westen

Wir verließen Yangshou mit einem Bus in Richtung Guilin. Es ist immer wieder etwas wie heimkommen, wenn wir an einem uns bekannten Ort zurückkehren. Das mag daran liegen, dass uns auf unserer nun schon mehr als fünfmonatigen Reise alles bekannte ein Gefühl der Sicherheit gibt, das uns insgesamt etwas abhanden gekommen ist. Jeder Tag ist neu, anders, ungewiss. Das ist spannend, erfüllend und zugleich zehrt es an einem. Umso mehr schätzten wir es, die Nacht in dem uns bekannten Hostel zu verbringen, das wir bereits einige Tage vorher nutzten.

Da wir kein Ticket für den Zug online kaufen wollten, bevor wir nicht die Räder aufgegeben hätten, kamen wir etwas später von Guilin los. Nachdem man uns am Nordbahnhof, wo wir die China Railway Company beauftragten, Räder und Packtaschen nach Xichang zu bringen, sämtliches Camping-Gas herauspickte, das wir noch hatten, fuhren wir mit einem Bus an den Westbahnhof, um nun von dort den späteren Zug zu nehmen. An den Sicherheitskontrollen zog man – wie wir es bereits annahmen – uns dann wieder die Gaskartuschen aus den Taschen. Wir hatten es den CRE-Leuten ja gesagt, aber die meinten, wir sollten es versuchen. Tja, nun wurde Chris Pass zusammen mit dem Gefahrengut abgelichtet und so wird das wohl noch eine Weile im System bleiben. Prima. Das war erstmal ein komisches Gefühl, doch ließen wir uns nicht beirren und so ging Chris einfach nochmal zum Security Check und fragte, ob er die Kartuschen ebenfalls nochmal fotografieren dürfe. Schließlich müsse er jetzt neue kaufen.

Die Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug war einerseits recht unspektakulär, da man von Beschleunigung und Geschwindigkeit des Zuges zwischen all den anderen Passagieren des vollen Wagons nichts wahrnahm. Sah man aus dem Fenster, konnte man bei bewusster Betrachtung die Fahrtgeschwindigkeit einschätzen und sie bewundern. Eindrucksvoller – selbst als die Aussichten – waren die schier endlosen Tunnel auf dem Weg. Es wurde deutlich, wie schnurgerade die Bahntrasse hier durchs Land gezogen wurde. Ohne wahrnehmbare Steigung oder Kurven schoss der Zug über Täler und durch Berge, als wäre es das normalste der Welt. Die manifestierte Schaffenskraft der Chinesen machte Gänsehaut. Der Ressourcen- und Energieverbrauch für den Bau dieser Infrastrukturen, der kaum zu erahnen war, ließ Chris gruseln.

Kunming
Mit Polizeigeleit ins Hotel – Scharfes auf dem Nachtmarkt – Orangerote Kois im Grünen See – Tempel über der Stadt – Beängstigende sowie belustigende Vorsicht am Kunminger Bahnhof

Es war bereits dunkel, als wir in DER Großstadt Yunnans ankamen. Da wir uns der Räder vorerst entledigt hatten, konnten wir nun etwa 15 Stationen mit der U-Bahn passieren um schließlich nach Fu De, zum Expo-Gelände und dem nahe am Bahnhof gelegenen Hostel zu gelangen, das wir uns per Smartphone unterwegs aussuchten. Da es etwas versteckt liegt und die Koordinaten die wir zur Buchung erhielten nicht ganz zur Realität passten, führte uns ein netter Polizist mehrere Hundert Meter bis zum Gebäude und schließlich hinauf bis in den vierten Stock an die Rezeption, wo er sich ein hitziges Wortgeplänkel mit der Chefin lieferte. Wie uns später erklärt wurde, wurde es nur hitzig, weil der Polizist die ihm angebotene Höflichkeits-Zigarette verweigerte. Schon witzig.

Zwar ist es kein wirklich schöner Ort, doch wurden wir hier freundlich und interessiert von unserem Landsmann Stefan begrüßt, der das Hostel zusammen mit seiner chinesischen Freundin zwei Wochen vorher übernommen hatte und nun leitete. Wir mieteten uns hier für zwei Nächte ein, bevor wir nach Xichang weiterfahren würden. Da es bereits spät war, wir jedoch Hunger hatten, empfahlen uns die Besitzer den südlich gelegenen Nachtmarkt aufzusuchen. Gesagt – getan. Dort angekommen stießen wir auf eine Vielzahl von Essensständen mit Kochern, Fritteusen, Woks und Dampfgarern, die wiederum gefüllt waren mit allem möglichen und unmöglichen Fleisch, Mixed Pickels, scharfen Pasten und Gemüse. Wir entschieden uns für Nudeln mit Gemüse sowie einer Portion Kartoffeln, die an Pommes-Frites erinnerten, jedoch recht scharf gewürzt waren. Leider fast tödlich scharf war die Nudelsuppe, an der sich Chris zu allem Überfluss am Straßenrand, wo wir auf einer Bank Platz nahmen, derart verschluckte, dass er das schmerzhafte Brennen der Schärfe den ganzen Abend nicht mehr loswurde. Dennoch schien er sich gut genug angestellt zu haben, dass ein Obstverkäufer am gegenüberliegenden Straßenrand Chris Stäbchen-Beherrschung beim Nudel-Essen mit je einer Tüte süßen und salzigen Snacks als Geschenk belohnte. Die futterten wir dann auch gleich noch auf. 🙂

Tags drauf – die Gemeinschaftsbäder stellten sich in ihrer Schmuddelligkeit als ziemliche Enttäuschung heraus – gönnten wir uns, nach einem Einkauf bei Walmart gegenüber, der uns mit Menge und Vielfalt der Produkte mit Eindrücken überflutete, ein leckeres, ausgiebiges Frühstück. Eher einen Brunch mit Croissants, Baguette und Schokocreme. Wir nahmen die Bahn in die Altstadt, schlenderten durch die Gassen, die dem alten Baustil mehr nachempfunden rekonstruiert wurde, als dass sie wirklich im Original fortbestand. Sie war gefüllt mit Läden und Restaurants und an den Straßenrändern waren immer wieder Bronzefiguren aufgestellt, über die sich besonders die Kinder freuten.

Zocken mit dem Kaiser

Wir besuchten den grünen See, einen sehr belebten Park, den wir als kostenlose Empfehlung im Reiseführer fanden. Und er stellte sich tatsächlich als sehr belebt heraus. Nicht nur die jungen Paare und Eltern mit Kindern, die sich an den Bambusidyllen und Kois und Enten im Teich freuten, füllten den Park. Es waren vor allem die Musik, Gesänge und Rufe die von einer der Inseln im See (Park) über das ganze Gelände schallten. Dort führten Menschen in traditionellen Gewändern zusammen mit modern gekleideten Besuchern Mit-Mach-Tänze auf, spielten diverse Instrumente und sangen, umringt von hunderten Zuhörern den teils schrillen Klängen. Auch die eine oder andere Karaoke-Box, die scheppernd musik-ähnlichen Lärm von sich gab, trug zusammen mit den trällernden und wackligen Stimmen der Mikrofon-Besitzer zur kaum erträglich dissonanten Kakophonie auf dem Platz bei.

Nach dem Bad in dieser tummelnden, lauten Menge machten wir uns schnell zur Bahnstation auf und fuhren nach Westen zum Ende der Stadt, wo wir vom grünen Berg aus, über See und Metropole blickten, aber auch unterwegs die eine oder andere Sehenswürdigkeit fanden.

The Bike-Boy! Uuuh! 😛
The Candy-Man! Yeah! 😀

Bevor wir zum Hostel zurückkehrten, dachten wir, könnten wir schnell noch die Tickets für die morgige Fahrt am Bahnhof besorgen. Dass dieser nicht ganz so auf dem Weg lag, wie wir es annahmen, hat uns dann nicht nur Zeit, sondern vor allem einiges an Nerven gekostet. Die U-Bahn-Station Kunming-Bahnhof lag zwar direkt südlich des Bahnhofes, doch der Südeingang (falls es diesen einmal gab) war gesperrt, und das scheinbar schon lange. Wir liefen zirka zwanzig Minuten, um schließlich auf einen Platz zu treten, der von zwei Wachtürmen überragt wurde, auf denen Polizisten mit Maschinengewehren die Kommenden und Gehenden im Auge behielten. Auch Panzerwägen und permanent blinkendes und blitzende Blaulicht, sowie Flutlichtstrahler füllten einigen Raum auf diesem, durch Barrikaden abgeriegelten Vorplatz des Bahnhofes. Unmittelbar nach Betreten des Platzes wurden wir von einem Wachmann nach unseren Pässen gebeten. Daraufhin mussten wir feststellen, dass wir – um zu den Ticketschaltern zu gelangen – ebenfalls durch die Sicherheitskontrollen des Bahnhofs mussten: Taschen durchleuchten, Körperscanner, Abtasten, Passkontrolle.

Drinnen wurde die angespannte Stimmung dann durch eine witzige Episode am Schalter wieder aufgebrochen. Am Ticketschalter angekommen, erbat Chris Fahrkarten nach Xichang. Der junge Mann erklärte uns auf Englisch knapp, dass wir zu Schalter Nr. 5 müssten. Wir schauten uns suchend um und erkannten, dass Schalter Nr. 5 direkt nebenan war. Artig stellten wir uns dort an und erklärten erneut unser Anliegen. Der ebenfalls recht junge Angestellte der Bahn hatte jedoch mitbekommen, dass wir uns zuvor bei seinem Kollegen nebenan nach einem Ticket erkundigt hatten. Er wechselte kurz zwei Sätze mit seinem Kollegen und schwuppdiwupp wurden hinter der Glasscheibe die Plätze getauscht. Ganz nach dem Motto: Moment mal, Herr Kollege, dass kannst du schön selber erledigen. Etwas aufgeregt (wahrscheinlich wegen vermeindlich fehlenden Englisch-Kentnissen) nahm sich der junge Mann unseres Anliegens aber schließlich an und nach kurzem Hin und Her hatten wir schließlich die Tickets in der Hand, nicht ohne dem jungen Angestellten ein Kompliment im Gegenzug zu hinterlassen.

Bye-bye Kunming!

Xichang
CRE ist spät – Gitarre auf dem Bahnhofsplatz – Unerwartete Geschwister – Nächtliche Taxifahrt – Illegal im Hotel – See am Morgen – Marsch durch die Stadt (Gas, Gas!) – Später Aufbruch

Am nächsten morgen machten wir uns recht früh auf dem langen Weg zum Bahnhof und mit der Bummelbahn ging es dann weiter nach Xichang. Wie sich herausstellte, waren die Räder trotz einem Tag Pause in Kunming nicht mit uns angekommen. Wir sollten am nächsten Tag noch einmal vorbei schauen. Da Chris im Zug noch einen Warmshowers Gastgeber angeschrieben hatte, wollten wir noch etwas warten, bevor wir eine Unterkunft für die Nacht suchten. Es könnte ja sein, dass sich noch jemand meldet. Also setzten wir uns auf dem Bahnhofsvorplatz unter einen Baum, Lisa schrieb Tagebuch und Chris klimperte auf der Gitarre. Schnell hatten sich einige Zuhörer gefunden und Gespräche ergaben sich. Eine Frau sprach Lisa an und kam sehr schnell und direkt auf die Frage: Seid ihr Christen? Etwas überrumpelt und bang angesichts dessen, was wir über Christen in chinesischen Umerziehungslagern, Pastoren im Gefängnis und die vermeintlich strategisch destruktiv zusammenwirkenden Missionare aus dem Ausland gehört hatten, antworteten wir so gut es ging vorsichtig und bestimmt zugleich: Ja. Auf die etwas weiter auf’s Eis führende Frage, ob wir andere Leute zum Glauben bringen wollten, antworteten wir dann doch etwas ausweichender, da – vor allem Chris – hier eine Falle witterte. Es stellte sich aber schnell heraus, dass dies nicht der Fall war. Und zwar gar nicht. Uns gegenüber gab sich eine selbst verfolgte, chinesische Missionarin zu erkennen, die eben aus dem Exil in Malaysia zurückkehrte, wo sie zudem ein theologisches Seminar abschloss. Nun wollte sie zurück zu ihren Kindern, ihrer Familie, und hoffte, dass sich das polizeiliche Interesse an ihr inzwischen etwas gelegt hatte. Wir gingen zusammen in ein Restaurant am Bahnhofsvorplatz und aßen gemeinsam von einem reich gedeckten Tisch. Wir unterhielten uns per Google-Translator, doch dann wurde die Atmosphäre plötzlich angespannt. Wir sollten schnell aufessen und Nummern tauschen. Wir erkannten schließlich den Grund des Unbehagens unserer neuen Freunde (Es war auch ein Mann dabei, der eben aus dem Gefängnis entlassen wurde und sich scheinbar bekehrt hatte): Draußen auf der Straße nährten sich mehrere Polizisten dem Lokal. Wir verhielten uns unauffällig und leerten schnell unsere Teller und Bierflaschen. Die Polizei entfernte sich, doch noch immer schien Eile geboten. Wir wollten zahlen, wurden jedoch kurzerhand eingeladen, was uns einerseits unangenehm und zugleich positiv überraschte. Wir gingen über die Straße in den Schatten eines Baumes, traten hinter einen Holzverschlag und beteten gemeinsam kurze Gebete. Dann wurden wir in ein Taxi buxiert, als gelte es noch immer, zu verschwinden. Sie sagten uns, besonders als Ausländer wären wir in Gefahr, unter den Verdacht der Mission zu fallen. Wir sollten uns vorsehen. Wir gehorchten und ließen uns vom Taxifahrer – unseres Zieles unbewusst – wegbringen.

Wir fuhren länger als uns lieb war und Chris verfolgte auf dem Navi, wohin es ging. Dummerweise fuhr uns der Fahrer aus der Stadt heraus, was uns nicht recht war, da wir am nächsten Morgen zurück in die Stadt fahren müssten, um unsere Räder und Taschen zu holen. Wir kamen an ein Hotel und hielten. Während wir unsere Taschen hereintrugen machte der Fahrer Anstalten uns am Schalter ein Zimmer zu organisieren. Er wurde wohl von unseren christlichen Freunden beauftragt. Abermals dummerweise stellte sich heraus, dass das angesteuerte Hotel zwar günstig, jedoch für Ausländer keine Zulassung hatte. Irgendwie ging es dann aber doch, wir wurden auf ein Zimmer geführt und versuchten die Lage zu akzeptieren und uns zu entspannen. Das fiel jedoch vor allem Chris schwer, woraufhin er hinunterging, um nach dem Rechten zu sehen und – wenn möglich – unsere Pässe wieder zu bekommen, die zum Einchecken in Hotels in der Regel benötigt werden. An der Rezeption war nur noch ein Mann mittleren Alters anzutreffen, der eher besorgt und genervt wirkte, woraufhin Chris sich erkundigte, ob es Probleme gäbe. Das wurde bejaht, dass Hilfsangebot von Chris‘ Seite hingegen abgelehnt: Es würde ein „Audit“ geben. Was auch immer das zu bedeuten hatte. Schließlich wurden uns die Pässe von einer netten jungen Frau aufs Zimmer gebracht, die nicht den Eindruck machte, als gäbe es überhaupt irgendwelche Probleme. Wir zogen uns ins Zimmer zurück und machten uns daran, diesen ereignisreichen Nachmittag zu verarbeiten.

Tagsdrauf starteten wir dann doch recht entspannt in den Tag. Wir würden unsere Sachen ohnehin erst am frühen Nachmittag abholen können. Also machten wir Frühstück auf dem kleinen Hotelbalkon im Hinterhof und spazierten gut zwei Stunden an der Uferpromenade des Sees entlang. Dieser scheint selbst eine Art Tourismusziel zu sein, weshalb sich hier, außerhalb der eigentlichen Stadt, einige Hotels und Restaurants aneinander reihten. Wir genossen den kleinen „Strand“-Spaziergang, kehrten dann jedoch recht zügig zum Hotel zurück, um schließlich einen Bus in die Stadt zu nehmen.

Wir mussten feststellen, dass es keinen direkten Bus zum Bahnhof gab und dank der Sprachbarriere, wussten wir auch nicht wirklich, welchen Bus wir als nächstes nehmen müssten. Also entschieden wir uns den Stopp in der Stadt zu nutzen, um die hiesigen Läden nach Gas für unseren Gaskocher abzusuchen. Nach einem langen Marsch und kurzen Besuchen in allerlei Läden fanden wir in einem Walmart, den wir gezielt ansteuerten, zwar kein Gas, aber alle möglichen Leckereien und so deckten wir uns mit Gebäck, Hafer, Nudeln und Schokolade ein – die es jetzt zusätzlich durch die Stadt zu tragen galt. In einem kleinen Küchenshop erfuhren wir, dass man diese Gaskartuschen wahrscheinlich nur im Internet bekommt. Also gaben wir die Suche auf, nahmen den Bus, den uns die Frau bei den Backwaren im Walmart nannte, und waren dann auch schnell am Bahnhof. Die Angestellten der China Railway Express Company verlangten eine „Surgery Fee“ von 4 Yuan (50ct), bei der wir nicht verstanden wofür sie war, dann aber doch zahlten und somit unser Räder und Taschen auslösten.

30. September – ein Tag vor dem großen Jubiläum: 70 Jahre Volksrepublik China

Ab in die Berge gen Lugu-Lake
Back in traffic! – Geschenkte Tomaten – Nacht zwischen Ölpalmen und Umspannwerk – Endloser Aufstieg (mit kleinem Lift) – Erste Nacht auf 3300m Höhe – Schussfahrt ins Tal – Klamme Nacht in verlassenem Verschlag am Fluss – Fantastische „Fluss-Fahrt“ – Zur Kasse gebeten – Nacht im Bauernhof

Endlich wiedervereint beeilten wir uns, die Taschen umzupacken und an die Räder zu schnallen. Wir checkten noch etwas Reis und Gemüse im Restaurant des gestrigen Abends und holten Äpfel und Wasser an einigen kleinen Ständen in der Nähe. Dann brachen wir auf. Doch entgegen unserer Erwartungen dauerte es eine ganze Weile, bis wir schließlich die Stadt hinter uns ließen. Und so wurden wir durch den fiesen Stadtverkehr schnell wieder an stickende Abgase und permanentes Hupen beim Überholen gewöhnt. Das hatten wir nicht vermisst.

Als wir schließlich die letzten Ausläufer des Stadtgebietes und das sich anschließende Stahl- und Vanadium Werk hinter uns ließen, passierten wir einen Tomaten-Stand am Straßenrand, an dem Chris unbedingt noch etwas frisches Gemüse erstehen wollte. Doch der Mann hinter den roten Früchten wollte für die zwei dicken Tomaten in Chris Händen kein Geld haben. Nein, er gab uns sogar nochmal zwei obendrauf. Das war superlieb und so entschädigt radelten wir fröhlich die letzten Kilometer im Halbdunkel der Dämmerung durch das Tal und die gegenüberliegenden Berge hinauf, bevor wir uns schließlich einen Platz zwischen Ölpalmen an einem terrassierten Hang suchten und unser Zelt aufschlugen. Die Nachtluft war erfüllt von Grillenzirpen und dem beständigen Surren eines einige Hundert Meter entfernten Umspannwerkes und den Hochspannungsleitungen, die in allen Richtungen dort hin und davon weg führten und die auch über unserem Zelt hingen.

Der kommende Tag begann mit einem Aufstieg, der nicht mehr enden wollte. Langsam aber stetig kämpften wir uns die sich windende Bergstraße empor. Es war der 1. Oktober. Der höchste Nationalfeiertag Chinas. 70 Jahre Volksrepublik China. Dementsprechend waren alle unterwegs. Wir hatten eigentlich erwartet, dass es Paraden geben würde, Menschen sich in Städten versammelten und feierten. Aber nix da. Der Tag wurde genutzt um endlich – EEEENDLICH – mal wieder raus zu kommen. Am Besten in die Berge. Am Besten zum Lugu-See…

Zwar waren wir noch nicht auf einer Hauptverkehrsstraßen, doch dennoch waren die Automassen, die sich an uns vorbei drängten oder auch mal vorbeischossen absolut unverhältnismäßig. Wir passierten Bergwerke und offenen Tagebau, strampelten uns Serpentine nach Serpentine aus dem Tal empor und wurden schließlich mit einer Talfahrt belohnt, die ein dunkler, langer Tunnel einleitete, in dem es keine Ventilation gab. Doch da es bergab ging und wir mit 25-30km/h unterwegs waren, wurden wir bald wieder ausgespuckt, hinaus in ein grünes Tal, wo wir bei schöner Aussicht erstmal durchatmen konnten.

Wir genossen es sehr einige Kilometer einfach nur rollen zu dürfen und den versammelten Verkehr nun nicht mehr aufzuhalten oder an uns vorbei rauschen zu sehen, sondern mit 40-55 Kilometern pro Stunde Teil des Korsos zu sein, der sich seinen Weg in das Tal bahnte. Doch das Glück sollte nicht von Dauer sein. Logisch, wir fuhren schließlich in DIE Berge, nicht über DEN Berg. Also reintreten! 70km würde es im folgenden bergauf gehen. Nach etwa 30 km war Lisa jedoch dermaßen am Ende, dass wir zur Seite fuhren und einen Platz suchten, von dem aus wir Wagen herauswinken konnten. Wir würden die letzten steilen 40km Serpentinen trampen – ein heftiger Anstieg pro Tag müsste reichen. Und tatsächlich: An dem Restaurant an dem wir hielten wurde uns nach einigen Minuten warten und einigen weiteren Minuten des Erklärens, was wir taten und beabsichtigten, schnell geholfen. Zwei der Restaurantgäste waren Paketfahrer, ihr LKW parkte vor der Tür und – siehe da – sie würden nach Yanyuan fahren, die Stadt, die routenbedingt auch auf unserem Weg lag … und zwar jenseits des 3300m Berges. Schwupps, waren die Räder im LKW verstaut und los ging es. Wir hatten vorher gefragt, ob wir ihnen dafür etwas Geld geben sollte, was bestätigt wurde. Während der Fahrt unterhielten wir uns ein wenig, erklärten was wir machten, warum wir jetzt trampten, woher wir kamen. Schließlich wurden wir wieder gefragt, ob wir Christen seien. Etwas verwirrt bejahten wir und fragten zurück. Die beiden waren Muslime. Wir wussten zwar, dass wir in einem ethnisch diversen Landstrich Chinas unterwegs waren, aber mit Muslimen hatten wir hier nicht gerechnet. Neugierig erkundigte Chris sich, ob sie sich frei fühlten, ihren Glauben zu praktizieren. Ein zögerndes Schweigen, dann ein verhaltenes „ja“. Vielleicht hatte Chris sich mit der Frage etwas aus dem Fenster gelehnt. Wir akzeptierten die Antwort mit der Sorge im Hinterkopf, dass es womöglich nicht ganz die Wahrheit war. Da wir unter anderem gefragt wurden, wie wir das finanzierten, und wir zugaben mussten, dass unser Erspartes sich dem Ende neige, wollten die beiden schließlich als sie uns auf dem Pass herausließen kein Geld von uns. Das freute uns und stimmte uns noch dankbarer als wir ohnehin für den Lift auf den Berg waren. Wir bepackten die Räder und zogen an dem Stau vorbei, der uns erst die entspannte Möglichkeit gab, hier mitten auf der Straße zu halten. Einige hundert Meter bergab fanden wir schließlich eine unbewaldete Bergkuppe, auf der wir unser Zelt aufschlagen konnten. Es war sehr kalt hier oben, das Gras halbhoch, das Laub der vereinzelten Kräuter meist dickblättrig wuchernd auf den kargen Felsen. Wir fühlten uns etwas an die Alpen erinnert. Hinzu kam eine einzigartige Aussicht über das gesamte Tal bis hinab in die Ebene um Yanyuan. Die Nachtluft war angenehm, nur das Zucken von Blitzen in der Ferne und das durchdringende dumpfe Beben des heranrollenden Donners ließen uns noch eine Weile wach liegen.

Am Morgen nach unserer ersten Nacht auf 3.300 m üNN

Die Abfahrt am nächsten Tag war wunderschön und wir kamen sehr schnell voran. Meist fuhr Lisa sogar voraus, da Chris immer wieder anhielt, um Fotos zu schießen. Als Lisa bei einer dieser Gelegenheiten auf Chris wartete wurde sie schnell von ein paar Einheimischen umringt, die auf der Art Rastplatz ihr Obst feil boten. Bis Chris nach einer Weile angerollt kam, wurde sie bereits mit einer großen Tüte Obst beschenkt. Die Tüte war so voll mit Äpfeln und Pfirsichen, dass sie nicht in die Packtasche gepasst hat. Nur sehr zögernd nahmen die netten Verkäufer ein paar der Früchte wieder zurück. Diese Situation wiederholte sich in den nächsten Tagen des Öfteren und wir bekamen immer wieder Äpfel geschenkt, die hier in der Gegend geerntet wurden.

Haha! Schön scheinheilig nach 40km bergauf trampen 😉

Nach weiterem Auf und Ab schlugen wir unser Zelt in dieser Nacht in einem Tal auf einem verlassenen Grundstück auf. Das sich darauf befindende Haus sah wie ein Lagerhaus aus und nebenan verlief ein kleiner Bachlauf, der bald den größeren Fluss mündete – Wasser hatten wir also genug an diesem Abend, auch zum Kochen. Nur zum Baden war es zu kalt und etwas bedenklich waren die leeren Spritzmittelpackungen, die direkt neben dem Bach lagen.

Feucht, wenn auch ohne Regen, dafür wolkenbehangen begrüßte uns der nächste Tag. Wir wuschen uns am Wasserschlauch den Schlaf aus den Augen, frühstückten Porrige und starteten in den zunehmend sonnigen Tag. Wir genossen noch einige Kilometer bergab, bevor es – nach einer pompösen Mittagspause mit etwas zu viel Essen dank Sprachbarriere – bergauf weiter ging. Die Aussicht auf den gewaltigen Gebirgsstrom, der aufgrund seiner homogen hellbraunen Farbe denken ließ, eine Instant-Café-Fabrik weiter oben wäre explodiert, war einfach toll! Die bunten Felswände, die den sich brutal hin und her werfenden braunen Strom in seiner Bahn hielten und die zu ihrem tiefgrünen Bewuchs leuchtende Kontraste bildeten, waren einmalig. (Leider mussten wir feststellen, dass beim Versuch, die Daten von Chris verrückt spielendem Handy zu retten, die schönen Aufnahmen und Fotos, die während dieser Fahrt entstanden, verloren gingen… so bleibt nur die Erinnerung- und diese Schilderung.)

Dass wir stets an einer Klippe entlang fuhren, gab dem Ganzen eine zusätzliche Spannung. Die Steigung war halb so wild – meint Chris. Was uns allerdings den letzten Nerv raubte und Chris schier wahnsinnig machte – er schimpfte am Abend aus vollem Hals wie ein überdimensionierter Rohrspatz – das waren die absolut hirnverbrannten Autofahrer, die scheinbar nichts besseres zu tun hatten, als in endlosen Kolonnen bergauf und -ab zu rasen und sich in kranken, suizidalen Überholmanövern zu überbieten. Dem konnte Chris durch demonstratives „inmitten der Spur fahren“ etwas Einhalt gebieten, doch das eigentlich Schlimme waren vielmehr die Hupen. Ob wir einfach gewarnt werden sollten, dass sich ein Auto nahte, oder ein womöglich entgegenkommendes Auto aufmerksam gemacht werden sollte, oder wir aus dem Weg gehupt werden sollten, war kaum auszumachen. Einzig und allein kam bei uns bei jedem zweiten Fahrzeug durchdringender Hupenlärm an. Zum Haareraufen!

Am Abend erreichten wir dann das Eintrittstor zum Lugu-Lake. Dass es ein solches gab wussten wir nicht, genauso wenig wie von der Gebühr, die man zu entrichten hatte, um das Areal um den Lugu-Lake zu betreten. Etwas angefressen zahlten wir die knapp 17 Euro für „Administration und Umwelt“. Am Abend übernachteten wir dann bei einer Bauernfamilie, die uns an der Straße abpasste. Da wir sehr müde waren, diskutierten wir nur kurz über den verlangten hohen Preis. Immerhin war es eine interessante Erfahrung in einem chinesischen Bauernhof mit quickenden Schweinen und Ferkeln zu übernachten.

Lugu-Lake
Tag am See, Ab zum Ausguck, Suche nach Nachtlager, Wolken- und Sonnenuntergangs-Spektakel, durch den Schlamm und um den See, Krank in die Absteige, der lange Weg zurück in die Berge, Nacht an der Straße

Erst am nächsten Tag sahen wir dann den touristisch begehrten und erschlossenen Bergsee. Dieser hat von oben betrachtet die Form eines Pferdehufs. Vorbei an kleinen buddistischen Gebetsstätten und vielen, vielen tibetischen Gebetsfahnen verließen wir die Hauptstraße um den See herum und folgten einem kleineren Weg entlang uralter Dörfchen, Obstgärten und Feuchtwiesen …

… zu einem Aussichtspunkt über dem See – einer heiligen Stätte der Mosuo. Die Mosuo, um hier mal einen kleinen erklärenden Exkurs einzubauen, sind die „Ureinwohner“ des Sees und haben eine matriarchiale bzw. matrilineare Kultur. Frauen wurden verehrt und lebten in der sogenannten Besuchsehe (walking marriage), in der die Frau entschied mit wem und wie lange sie mit wem zusammen sein und Kinder haben wollte. Das paar lebt hierbei nicht zusammen, sondern bleibt in der jeweiligen Hausgemeinschaft. Männliche Bezugspersonen sind dann eher die Onkel anstatt die leiblichen Väter. Schon allein wegen dieser Kultur ist der Ort ein touristischer Magnet. Wie viel von der Kultur heute noch übrig ist können wir nicht beurteilten.

Schön sind auch die Legenden über die Entstehung des Sees. Eine Legende besagt, dass der weibliche Berggeist Gemu viele Geliebte hatte. Einer dieser Geliebten war Waru Shila. Während ihrer ersten romantischen Begegnung inmitten eines Blumengartens vergaßen sie alles um sich herum und merkten nicht, dass das Tageslicht nahte. Weil sie Angst davor hatten entdeckt zu werden, floh Waru Shila auf seinem Pferd zum nächsten Hügel, während Gemu ihm nachsah. Bei dem Versuch einen letzten Blick auf seine Geliebte zu erhaschen, zog Waru die Zügel des Pferdes eng an sich. Dabei stolperte das Pferd und fiel. Der Boden erschütterte. Da der Tag nun schon angebrochen war, konnte Waru nicht in seinen Himmel zurück und verwandelte sich in einen Berg im Osten des Sees. Gemu, die dieses Geschehen verfolgte weinte hemmungslos und füllte die Mulde, die der Sturz des Pferdes hinterließ mit dem Wasser ihrer Tränen. Daraus entstand der Lugu See, in den sie sieben ihrer kostbaren Perlen warf, die zu den sieben Inseln des Sees wurden. Dann verwandelte sie sich ebenfalls in einen Berg, um über den See und ihren Geliebten zu wachen.

Am Abend suchten wir uns einen Platz abseits der großen Wege mit Blick auf den See. Der Sonnenuntergang war ein Spektakel. Wolkenberge und letzte Sonnenstrahlen, sowie immer wieder aufkommendes Blitzlicht setzten den Himmel, die Berge und das Wasser in Szene.

Am nächsten morgen regnete es und wir machten uns einen gemütlichen Vormittag im Zelt, bevor wir dann doch aufbrachen und den See ein wenig weiter erkundeten. Es ging vorbei an vielen schön hergerichteten Hotels direkt am See zu einem buddistischen Kloster auf einer Halbinsel. Da wir beide, wahrscheinlich wegen Wind und Wetter, gesundheitlich etwas angeschlagen waren, suchten wir uns dann doch im nächsten Ort ein Hotel zum Übernachten. Das Hotel war leider eine ziemliche Absteige, aber wir wollten nicht noch eine Nacht im kühlen, nassen Zelt verbringen und immerhin war diese Unterkunft einigermaßen erschwinglich. Die Preise für die Zimmer sind in der Woche vom Nationalfeiertag ziemlich in die Höhe geschossen.

Kalte, nasse Berge
Ein Tag lang Aufstieg – Die zweite Nacht auf über 3000m – Fahrt aus den Wolken – Nicht noch ein endloser Aufstieg!

Das Wetter besserte sich leider nicht wirklich und bei Regen ging es den nächsten Tag weiter am See entlang und über den Berg in Richtung Lijiang. Nach einem langen Aufstieg und immer wieder Niesel kamen wir oben an und verließen das Touri-Areal des Lugu Lake. Noch während wir in das folgende Tal rollten, durch Tunnel, über schwindelerregende Brücken und vorbei an Schweinen und Ziegen, überlegten wir, welchen Weg wir wählen sollten: direkt nach Lijiang oder doch per Rad erst zur Tigersprungschlucht? Der Plan nach Shangri-La zu radeln wurde durch die entweder lückenhaften Straßenkarten oder das lückenhafte Straßennetz sowie einer nun wahrgenommenen Zeitknappheit zunichte gemacht. Letzterem entsprechend entscheiden wir uns dann auch für den direkten Weg nach Lijiang. Wir würden dort sehen, wie es weiter gehen sollte. Als es schon dunkel wurde, fanden wir einen kleinen Laden und konnten unsere Wasservorräte auffüllen und etwas weiter unser Zelt direkt an der Straße aufschlagen. Nicht der perfekte Platz, aber der einzige, den wir unter diesen Bedingungen finden konnten.

Am nächsten Tag brachen wir unser Zelt zwischen den Steinhaufen ab, wobei wir immer wieder neugierigen Blicken der Nachbarn ausgesetzt waren. In der Stadt Ningjiang (oder so ähnlich) wie auf dem Land haben wir verschiedene Eindrücke über die Locals gesammelt, die zum Teil geschäftig Tuktuks und Mopeds reparierten oder mit allerlei überdimensionierten Waren beluden. Andere aßen in den vielen kleinen „Garküchen“ (Restaurants wäre übertrieben) mit schmuddeligem Garagen-Charme mit ihren Familien an viel zu kleinen Tischen zu Frühstück. Wieder andere saßen an einem Wasserhahn an der Straße und putzten Zähne. Stände wurden bestückt, Kisten an die Kioske geliefert. Auf dem Land, also vor und nach Ningjang, beobachteten wir Gruppen traditionell gekleideter v. a. älterer Frauen, mit runzligen Gesichtern und recht dunkler Haut und mal mehr, mal weniger Zähnen, dabei, wie sie Sammelgut und Ernten in großen Körben auf dem Rücken die Straße entlang trugen. Vereinzelt waren da auch Kinder, zwei Mädels und zwei Jungs, die mit Körben voll Mais nach Hause liefen. Diese Häuser waren teils halbwegs modern mit verglasten Fluren zu den Zimmern, mit traditionellen Dächern und Drachen-/Tierfiguren darauf. Die grauen Schindeldächer ließen sie zudem älter wirken. Manche Gebäude waren aus Stampflehm und hingen voller Mais, der daran trocknete. Sie waren hübsch anzusehen, wobei manche auch sehr heruntergekommen waren. Auf den geschwungenen Terrassenfeldern arbeiteten mal einzelne Männer, vorwiegend jedoch Frauen, oder auch mal eine ganze Meute.

Nach Ningjang ging es dann richtig in die Berge und wir schnauften! Angeschlagen wie wir waren fiel es uns – vielleicht auch wegen der Höhenluft – recht schwer und besonders Lisa ging es zunehmend schlechter. Dennoch kämpften wir uns bis halb sieben (um sieben wird es dunkel) bis zu einer Tankstelle „mit Blick auf den Snow-Mountain“, wo wir Wasser kauften und auch heißes Wasser bekamen. Bereits im Halbdunkel bauten wir unser Zelt im Wind am Berghang auf. Es gab einen Wasserfall in der Nähe, doch aufgrund der Kälte wuschen wir uns nur Hände und Gesicht. Ohne zu kochen krochen wir in die Schlafsäcke und tranken das heiße Wasser. Den Rest bekam Lisa als Wärmflasche. Wir waren immerhin wieder auf über 3000 Höhenmetern angekommen. Den Snow-Mountain, der eine Sehenswürdigkeit ist (mit seinen ca. 5.500 Höhenmetern) bekamen wir aufgrund der Wolken nicht zu sehen.

Am nächsten Morgen war es bitterkalt und feucht. Wir zogen alle unsere warmen Klamotten in Schichten an und machten uns an die Abfahrt. 40 km bergab – ein Traum! Wir fuhren durch die Wolken. Den Snow-Mountain konnten wir deshalb immer noch nicht erblicken, dafür terrassierte Hügel im „Tal“, auf das man von hier oben herab sehen konnte.

Je weiter wir nach unten kamen, umso wärmer wurde es und wir konnten uns Schicht um Schicht aus den Klamotten schälen. Als es dann nach der Abfahrt erneut mehr als 40 km bergauf gehen sollte streikte Lisa.

Erneut 1.50m rauf, Serpentinen, Brücken und neue Serpentinen… man kann sie in der Ferne nur erahnen.

Eine Mitfahrgelegenheit musste gefunden werden. Das war jedoch kein leichtes Unterfangen. Wir fuhren immer ein Stück weiter, blieben an geeigneten Stellen stehen, streckten die Hand bei geeignet erscheinenden Fahrzeugen heraus, wurden enttäuscht, warteten, fuhren wieder ein Stück weiter, streckten erneut die Hand heraus. Schon halb am Aufgeben strampelten wir uns dann doch Serpentine um Serpentine den Berg hoch, bis es Chris schließlich gelang eine kleine Gruppe Chinesen unseres Alters herauszuwinken, die in einem Pickup unterwegs waren. Der Fahrer zeigte sich bereit, uns mitzunehmen. Allerdings wollte er dafür 100Yuan pro Person haben. Chris erklärte wahrheitsgemäß, gar nicht mehr so viel Bargeld zu haben (25€) und schickte ihn bereits weiter mit den Worten, wenn er nicht helfen wolle, können sie jetzt weiterfahren. Schließlich, und Chris immernoch sehr gegen den Strich, erklärte er sich bereit uns für den Rest Bargeld (70Yuan) den wir noch hatten, mit nach Lijiang zu nehmen. Wir sagten zu, da wir nicht noch eine Nacht am Straßenrand neben den endlosen Serpentinen verbringen wollten und so genossen wir die kurvenreiche Fahrt im Pickup und bewunderten staunend die Straßenbaukunst der Chinesen.

Lijiang
Ankunft am Abend – Markttreiben – Im gedämpften Licht altehrwürdiger Gassen – Kirche als Museum, Glaube als Gefahr – Ein ruhiger Tag im Hotel – Treffen mit Gillam und Darja – Fritierter Tofu, Eis und Volkstänze

Am Abend wurden wir dann – relativ nahe der Altstadt, aber doch sehr plötzlich – auf einer großen Straße herausgelassen. Wir sattelten die Bikes und da sich, wie bisher leider üblich, kein WarmShowers-Gastgeber mehr ausfindig machen ließ, bzw. keine unserer WS und Couchsurfing (CS) Anfragen beantwortet wurde, machten wir uns zu aller erst auf zu einer Bank, bevor wir unsere Räder schließlich durch die altehrwürdigen Gassen im Zentrum zu dem günstigen Hotel schoben, dass wir online schließlich noch ausfindig machen konnten. Von der größeren Verkehrsader, die uns zum Bankautomaten führte, bogen wir zur Altstadt hin in eine kleinere Nebengasse ein und wurden hier von geschäftigem Markttreiben begrüßt: Obststände, die Äpfel und Granatäpfel, Bananen und Kiwis, Stern- und Drachenfrüchte feilboten neben Fleischständen, an denen Haxen und Hühner hingen oder sich auch mal ein paar Fische in viel zu kleinen Becken wanden sowie zwischendrin Gemüse, Eier, Schmuck, lebende Tiere, Pu’er Tee-Päckchen und Unmengen in Plastik verpackte Kekse und … „Backwaren“, die an billige Madeleines erinnerten. Eigentlich eher: Plastik mit etwas softem Milchteig gefüllt, um das Verhältnis richtig zu stellen. Um diesen Marktplatz her reihten sich Kiosks, mit Getränken, Fertignudeln und Süßkram – wie sie in China überall zu finden sind – an Haushaltswaren- bzw. Handwerks- oder Baumarkt-Lädchen. Dazwischen mal eine Bäckerei-Stube (Cakes & Bread, mit passablen Croissants) oder ein Schmuckladen, der mit seiner Anwesenheit am weniger touristischen Marktplatz bereits in die sehr touristischen Gässchen einleitete, durch die wir uns als nächstes unseren Weg bahnten.

Lijiang hat – wenn auch von Touristenmassen überlaufen – tatsächlich ein sehr hübsches Altstädtchen, welches von Regierungsseite auch so erhalten werden will. Scheinbar alle 100-150m wiederholt sich die Laden-Reihungen (Rosenblüten-Küchlein, Trommeln, Jade- und Bernstein-Schmuck, gebratene Durian (puh, dieser Geruch!), Fleisch- und Kraken-BBQ-Spieße, gebratener Tofu, Trockeneis-Dampf umwabertes Obst, Traditionelle und moderne Damenkleidung, Rosenblüten-Küchlein und so weiter und so fort). Obgleich dieses Franchise-Stils, der die traditionell erhaltenen und restaurierten niedrigen Gebäude mit den schönen Holzverzierungen, grauen Ziegeln und roten Laternen mit Kommerz und Konsum füllten, haben die Gassen einen unvergleichlichen Charme – den besonders die sanfte und warme Beleuchtung unterstrich, welche die holzreichen Fassaden in den Gassen, die Laternen und Schirme darüber und die kleinen Brücken über die Kanäle der alten, abendlichen Bergstadt in Szene setzte.

Auf dem Weg zum Hotel kamen wir auch an einer alten Kirche vorbei, die jedoch nur als Touristenattraktion geöffnet war und nicht mehr für Gottesdienste genutzt werden durfte (Versammlungen – insbesondere religiöse – waren streng verboten!). Sie erinnerte paradoxerweise scheinbar stolz an eine Zeit kultureller und religiöser Vielfalt, welche jedoch spätestens mit der Kulturrevolution endete. Die Erben ihrer Rädelsführer unterdrücken und verbieten eben jene Vielfalt bis heute. Einzig und allein zum Schein und für den Kommerz werden ursprünglich religiöse Elemente eingesetzt. Das fiel uns bereits bei unserer Einreise nach China, etwa 7 Wochen vorher auf: Die in der Mongolei noch beschriebenen und mit buddhistischen Motiven versehenen Gebetsfahnen wurden auf chinesischer Seite durch mindestens genauso bunte, jedoch unbeschriebene, leere Wimpelketten ersetzt, mit denen man Häuser und Stätten verzierte. Man will den Eindruck, das Aussehen, den Charme – aber ohne Inhalt. Bunt, aber tot.

Natürlich war es nicht überall so und besonders an den tatsächlichen buddhistischen Klostern, die ja auch gerade unter dem aktuellen Machthaber Chinas wieder gefördert werden, findet man Mönche, Altare und auch echte Gebetsfahnen. Doch hat es gute Gründe für die KP, gerade Schulen konfuzianischer Philosophie und buddhistische Klöster zu fördern: Nicht nur werden sie als förderlich für die „Volksidentität“ instrumentalisiert, sie sind auch gerade diejenigen Religionen und Schulen, die am ungefährlichsten für die Regierenden sind. Von ihnen werden keine großen Gerechtigkeitsfragen gestellt, keine Kritik am System oder den Machthabern geübt. Anstand und Akzeptanz der Umstände spielen dem System in die Hände – im Gegensatz zu den als gefährlich und destabilisierend wahrgenommenen Glaubenswelten und Weltanschauungen von Christentum oder auch Islam… Also kein Gottesdienst, kein Gebet, keine Versammlungen – nicht hier. Und wenn, dann nur mit staatlichen Aufpassern. Die Partei ist stets dabei.

Etwas betrübt von dem, was wir auf der Infotafel über das Treiben und Nicht-Treiben in der Kirche gelesen haben, spazierten wir mit den Rädern weiter durch die Gassen, wobei uns aus jedem der Läden eine andere Musik beschallte, begleitet von Trommeln, welche die VerkäuferInnen in ihren Läden geschickt zum Beat der Musik spielten, um Kunden zu locken. Der Duft von fritiertem Fleisch und Fisch, Durian, geschältem Obst und das Rosenblütenaroma der allgegenwärtigen Küchlein-Läden schwängerten die Luft der bereits nächtlichen Straßen.

Wir kamen an den Ort, an dem uns Open-Street-Map das Hotel anzeigte, doch konnten wir es nicht finden. Wir kontaktierten die Betreiber, doch diese sprachen nur Chinesisch und machten uns per SMS verständlich, dass wir einen Chinesen suchen sollten, der Englisch spreche. Dieser fand dann schließlich uns, als wir einen Straßen- bzw. Parkwächter ansprachen. Er war selbst Reisender und gerade auf der Suche nach Obst, als er uns mit der Übersetzungs-App kämpfen sah. Kurzerhand bot der große Chinese mittleren Alters seine Hilfe an, telefonierte mit der Rezeption und führte uns – wenngleich über Umwege – fast einen Kilometer weiter nördlich, bevor uns der Rezeptionist schließlich entgegenkam und von hier an mitnahm. An diesem Tag entschied ich mich – wenngleich für unseren China Aufenthalt recht spät – doch das chinesische Pendant zu Google-Maps herunterzuladen.

Auf diese anstrengenden und eindrucksreichen Reise nach – und schließlich durch – Lijiang folgte ein Tag der Entspannung. Wir wuschen fast unsere gesamte Wäsche, die es bitter nötig hatte. Wir lasen im Schatten der überdachten, hölzernen Hollywood-Schaukel im charmanten Innenhof des kleinen Hotels und schließlich gönnten wir uns einen erneuten, diesmal ohne Rad etwas gemütlicheren Bummel durch die Stadt. Auf dem Weg begegneten uns zwei super netten Backpackern aus Frankreich und Russland, die uns halfen, für den nächsten Tag einen Weg zur Tigerspruch Schlucht zu finden. Diese wollte Chris unbedingt gesehen haben, wenn wir schon in der Gegend waren. Auch die beiden Reisenden, Daria und Guillaume (www.almostaroundtheworld.com – der humorvoll und unterhaltsam geschriebene Reiseblog der beiden – auf englisch), wollten am nächsten Tag zur Schlucht fahren. Witziger Weise hat dieses Rucksack-reisende Pärchen den gleichen Weg hinter sich wie wir, nur waren sie (so ohne Fahrräder) um einiges zügiger unterwegs. Sie beabsichtigten sogar den gleichen Weg bis Singapur weiter zu reisen, den wir – zu diesem Zeitpunkt – angepeilt hatten. Wir sind gespannt, ob wir uns noch einmal begegnen werden.

Gemeinsam verbrachten wir schließlich noch den Nachmittag und den Abend, erkundeten das Wahrzeichen der Stadt (ein großes Wasserrad), erklommen den Parkhügel, snackten gebratenen, scharfen Tofu und Eis und wohnten einer kleinen „Volkstanz“-Runde auf dem Market Square bei, wo einige traditionell gekleidete Frauen und ein Mann die Besucher zum gemeinsamen Tanz um eine Feuerschale animierten.

Tagesausflug zur Tigersprungschlucht
Fat-cakes zum Frühstück, abenteuerliche Busfahrt, Touri- und Wassermassen, Uralte Zöllnerin, Abstieg in die Tiefe, Bebende Felsen und schwingende Brücken, Himmelsleiter, Apfel-„Kuchen“ und Yakkäse-Dumplings

Da es recht früh los ging, verzichteten wir darauf selbst Frühstück zuzubereiten und holten uns in einem der Nudelimbisse ein schnelles, fettiges Frühstück. Das hätten wir besser mal gelassen, denn es schlug uns während der Busfahrt in die Berge doch ziemlich auf den Magen. Langsam schlängelten wir uns aus der Stadt, was eine halbe Ewigkeit dauerte. Nach einer kurzen Pinkelpause, dem entrichteten Eintrittsgeld und vier Stunden später erreichten wir die Tigersprungschlucht. Der Busfahrer machte einen kurzen Fotostop bei der Plattform und Chris flog förmlich die Treppen hinab, um das verheißungsvoll donnernde Schauspiel abzulichten, welches hier so viele Chinesen sehen wollten. Lisa lies sich von der Menschenmasse indes Absatz um Absatz nach unten treiben und bezweifelte bereits auf halber Strecke, dass 10 Minuten ausreichen würden, um allein nach unten und wieder zum Bus zurück zu kommen. Am Aussichtspunkt im Tal angekommen, bestaunten wir schließlich zusammen mit hunderten Chinesinnen und Chinesen, wie die Wassermassen des bereits großen Stromes hier mit beängstigender Gewalt nach unten und schäumend und spritzend an uns vorbeidonnerten. Die Luft bebte und war erfüllt mit Wassertropfen, die sich auf die Linsen der ständig klickenden Kameras legten.

Mit etwas viel Verspätung kamen wir wieder beim Bus an, der uns am Abgrund entlang zu Tinas Guesthouse fuhr – den Eintrittspunkt der nun folgenden kleinen Wanderung. Dort bekamen wir die Route erklärt und wir wurden darauf eingestellt, dass an verschiedenen Stellen auf dem Weg ein kleiner Obulus zu entrichten sei, den die Einheimischen kassierten, da sie die Wege hier selbst anlegten und pflegten. Bevor wir jedoch den langen Abstieg antraten, verabschiedeten wir uns von Daria und Guillaume, die erst noch in ihr Hostel einchecken wollten. Da sie dort bleiben würden, trennten sich hier unsere Wege aufs Erste. Noch während wir dort standen drückte sich eine alte, eine seeehr alte Lady in traditioneller, etwas schmuddeliger Kleidung am Eingang des Pfades herum. Immer wieder tat sie einen schaukelnden Schritt in unser Sichtfeld, bevor sie – abwartend, oder besser „lauernd“ – wieder daraus zurück trat. Als wir sie schließlich passierten, lächelte sie uns breit an und bedeutete uns mit einer Geste auf ein erklärendes Schild, dass wir nun erstmal zu blechen hatten. An insgesamt drei Gelegenheiten auf dem Weg wurden uns schließlich umgerechnet 10 € abgeknöpft, was Chris an die Locals jedoch eher zu zahlen bereit war und sich indes etwas über die Eintrittsgelder an der Zufahrtsstraße zum Tal echauffierte.

Es war ein schöner, ruhiger und etwas wilder Weg und wir genossen es durch die Natur um uns her zu wandern. Die Berge gegenüber erschienen bereits zu Beginn wie eine unüberwindbare Felswand und erinnerten an „die Mauer“ einer sehr bekannten und erfolgreichen Fernsehserie. Ein imposanter Anblick, der mit dem Abstieg noch eindrucksvoller wurde.

Auch auf unserer Seite liefen wir bald an steilen Felswänden entlang. Nach und nach überholten uns andere europäisch/amerikanisch aussehende Touristen. Dann hatten wir den Abstieg geschafft, standen erneut am felsigen Ufer dieses gewaltigen Stroms, der sich hier durch eine Enge zwischen den steil aufragenden Felswänden brausend und krachend seinen Weg bahnte. Wir beobachteten, wie das Wasser badewannenweise nach oben geschleudert wurde, in Höhen, die man nur dann in Relation setzen konnte, wenn man sich bewusst wurde, wie langsam diese Wassermaßen zurück in den Strom zu fallen schienen. Nicht langsam – weit… Es war beeindruckend und laut.

In dieser Enge lag ein gigantischer Felsbrocken. Die Einheimischen hatten an Stahlseilen eine Hängebrücke errichtet, welche die Felswand und somit den Wanderweg mit dem badenden Giganten verband. Zum letzten Mal Wegzoll entrichtend taumelten wir über die hölzernen Planken der Hängebrücke, unter welcher der schmalere Teil des Stromes peitschte. Als wir uns schließlich für einen Moment auf dem Felsen niederließen, machte Lisa Chris auf das scheinbar Unmögliche aufmerksam: der Untergrund, dieser sicher hunderte, wenn nicht tausende Tonnen schwere Fels bebte, schaukelte. Mit einer erneuten Ehrfurcht genossen wir das Spektakel noch eine Weile, bevor wir uns dann wegen des Buses zurück nach Lijiang wieder auf den Weg machen mussten. Wir sogen sie förmlich auf: den Geruch der Schlucht, die Wassertropfen in der Luft, die unvorstellbaren Anblicke der Sturzfluten, die in ihrer Dimension keinen Sinn zu ergeben schienen oder zumindest kaum einzuordnen waren. Das Beben in der Luft, das Krachen, Schäumen, Wummern.

Der Aufstieg war einigermaßen schwer und steil. In Serpentinen ging es auf bis zur sogenannten „Himmelsleiter“, auf die sich Lisa nur mit viel Selbst-Zuspruch traute. Auch danach dauerte es noch eine ganze Weile, ehe wir in der Ferne wieder Häuser und die sich windende Straße erblickten. Wir schafften es schließlich ohne Abstürze rechtzeitig zurück zu Tinas Guesthouse, wo wir uns noch einige Yakcheese-Dumplings und einen Applepie gönnten. Beides schmeckte und sah anders aus, als wir dachten. Wir aßen beides mit Genuss, wenn auch aufgrund der Zeitnot bereits im Bus. Eine spannende, schöne Rückfahrt begann und wir kamen fix und fertig, aber zufrieden im Hotel an.

Ab nach Dali
Der lange Weg aus der Stadt, Chris erster Sturz, Kartoffelernte, Zelten im Kiefernforst, Pfui Spinne!, Vollmondnacht, Ankunft am See, mit Gastgebern beschenkt

Chinesische Städte sind wirklich groß und so haben sie es an sich, dass es eine Weile dauert, bis man aus ihnen heraus gefahren ist. Von Lijiang aus ging es erstmal 35 km bergauf. Hier geschah es dann, zwischen den Baustellen der letzten Stadtausläufer und den ersten Feldern, dass Chris im vom Regen schmierig gewordenen Staub der Straße ins Schlingern geriet und den ersten Sturz auf unserer langen Fahrt hinlegte. Da Lisa podcasthörend vorausfuhr, bekam sie nicht mit, wie Chris sich und das Rad an den Straßenrand schleppte und begann – die apathischen Chinesen in ihren Obstständen am Straßenrand verfluchend – sich mit Wasser aus der Trinkflasche, Taschentüchern, Desinfekta, Braunovidol und Pflastern soweit selbst verarztete, dass er weiterfahren konnte. Erst verwirrt, dann bedauernd passte Lisa in Folge gut auf Chris auf und sorgte sich jedes mal wenn er aus ihrem Sichtfeld verschwand.

An Kartoffeläckern und Feldern vorbei folgten wir der kleinen Straße gen Südwesten bergauf. Erst spät schlugen wir aufgrund der Lichtverhältnisse in einem Kiefernwald auf dem Berg unser Zelt auf. Es war ungewohnt in einem Wald zu zelten – wir haben das seit Russland nicht mehr gemacht. Der Geruch der Kiefern und die kühle, sonnige Luft erinnerte uns an Eberswalde und wir bekamen beide etwas Heimweh.

Am nächsten Morgen genossen wir die Abfahrt durch das Kiefernwäldchen umso mehr und bewunderten das hektische Treiben der fleißigen Chinesen, die gerade bei der Kartoffelernte waren, Krummbeeren puhlten, vom Boden in Säcke klaubten, Säcke auf Lasten-Tuktuks luden und diese am Straßenrand stapelten oder direkt auf – wegen der kleinen Straßen und Tuktuks überdimensioniert wirkende – Lastwagen verfrachteten, die es ihrerseits schwer hatten, zwischen den Tuktuks, den Kartoffelsackbauten und anderen Lkws auf den engen Straßen zu manövrieren.

Wir rollten lange ins Tal hinab, wobei wir für wenige Momente immer wieder Blicke auf den bereits fernab liegenden Snow-Mountain erhaschen durften, der mit seinen weißen Kuppen majestätisch, nur leider für Fotos zu weit weg und zu unvollständig hinter den Hügeln, die wir hinabrollten, aufragte.

Hier wurden wir uns auch gewahr, dass es allmählich Herbst wurde. Nicht nur aufgrund der Kartoffelernte. Gräser und Laub verfärbten sich zusehends gelb. In dieser schönen Stimmung sonnendurchflutet-goldenen Herbstes kamen wir nun wieder durch Siedlungen und kleine Städte. Stampflehmbauten bildeten Vierseitenhöfe neben solchen, die aus Ziegeln gebaut und verputzt waren. Mais hing an den Hauswänden, Stroh unter den Dächern hervor und unter den hohen Stahlbeton-Brückenbauten setzte diese Komposition von Alt und Neu, Bauern- und Ingeneurskunst, Lehmbraun und Beton-Grau etwas in Szene, das Lisa noch beim Gedanken daran erschauern lässt: Alles war eingesponnen von gewaltigen Spinnennetzen, in denen wiederum hunderte kleine und große, dicke Spinnen saßen und auf ihre fliegende Beute warteten.

So fuhren wir Kilometer um Kilometer, durch Städte und zwischen Feldern voll fleißigen Bäuerinnen und Bauern, durchs Tal und wieder hinauf auf einen Berg, dessen Erklimmen die letzten Sonnenstunden beanspruchten und wir erneut erhaben über dem nächsten Tal auf dem Weg nach Dali unser Nachtlager herrichteten.

Nach einer trotz Vollmond und Tiergetrappel einigermaßen erholsamen Nacht brachte uns die folgende Tagesetappe bis knapp vor die Stadt. Und endlich hatten wir mal wieder Glück mit WarmShowers: Garrett aus Kalifornien und Coco aus Chengdu würden uns in ihrem gemütlichen kleinen Hof am Rand des im Berghang liegenden Vorortes Dalis beherbergen. Und es hätte uns nichts besseres passieren können!

Ein paar Tage Frieden
Der Koch und die Yoga-Lehrerin – Wein unter Yoga-Lehrern – Babykatzen! – Visa für Vietnam – kleiner Abstecher in die Stadt – Flammkuchen, Spaghetti und Glühwein – Ein Tag Ruhe und Frieden im Vierseitenhof mit Vollverköstigung – Schmerzlicher Abschied

Jammi! War das wieder gut 🙂 Dankbar über das gemeinsame Abendessen am Tag unserer Ankunft konnten wir noch nicht ahnen, was uns da blühte: Garrett ist ein ausgezeichneter Koch und er scheint es wirklich zu lieben in der Küche zu stehen, zu schnibblen, braten, würzen… Hm! Gegen den gebratenen Gemüse-Reis mit Ei zum Frühstück, das Sushi zum Abendessen, die Pancakes zu Frühstück stank unser Selbstgemachtes, das immer noch ganz gut schmeckte, total ab. Und während wir aßen, Wäsche wuschen, duschten, lasen und den Komfort und die Ruhe genossen schallte leise Musik aus dem Zimmer der Untermieterin, die hier ebenfalls hauste – und zusammen mit Coco ein Yoga-Lehrerinnen Duo aus zwei unterschiedlichen Schulen bildete. Am ersten Abend wurden wir alle gemeinsam noch zu den im Air-BnB lebenden Nachbarn eingeladen und fanden uns schließlich Obst und Chips snackend und Wein schlürfend in Gemeinschaft mit insgesamt 5 Yogalehrerinnen und einem indischen Yogalehrer wieder, der seine Hangdrums präsentierte und spielen ließ. Da die Konversationen nach und nach nur noch auf Chinesisch abliefen und der Inder und wir Deutschen uns vielsagend „verständnislose“ Blicke zuwarfen und wir ohnehin fix und fertig waren, zumal vom Wein, verabschiedeten wir uns zuerst und krochen in unsere Schlafsäcke im Wohnhaus unserer beiden Gastgeber.

Maaaaauuuw… Maaaaauuuw… Geweckt von der etwas merkwürdig maunzenden weißen Katze, die sich zusammen mit Coco und Garrett hier niederließ, begann der erste von zwei schönen Pausetagen im Hof der beiden. Die Katze hatte eine dicke Ratte im Maul und wollte sie zeigen, sie präsentieren, aber schien auch irgendwie nicht weiter zu wissen. So lief sie auf und ab, mauzte mitleiderregend und versteckte sich, wenn man sie fangen und hinausbringen wollte. Schließlich schafften wir es, sie auszusperren, was ihr zwar auch nicht gefiel, uns jedoch noch etwas Ruhe ließ.

Unten begrüßten uns dann drei zuckersüße Baby-Kätzchen, die wenige Wochen alt waren und noch recht tappsig durch den Hof hüpften, aufeinander herumlagen und miteinander spielten. Sie eroberten unsere Herzen im Sturm und so kam es, dass wir – nach dem gemeinsamen Frühstück, dem Waschen und der nervenaufreibenden und doch etwas zeitintensiveren Bewältigung des E-Visums für Vietnam mit den Katzen im Schoß noch eine ganze Weile brauchten um uns loszueisen und schließlich doch nochmal nach Dali aufzubrechen.

Nicht ganz das richtige Licht für die benötigten Passbilder, die wir improvisierten – aber umso schöner, meine Liebste 🙂

Wir brauchten eine ganze Weile um von Coco und Garrets Oase der Ruhe in die 10km entfernte Altstadt zu radeln. Wir kamen an den drei Pagodentürmen vorbei, die eine besondere Sehenswürdigkeit der Stadt sein sollten, uns jedoch durch ihren Eintrittspreis auf Distanz hielten. Man sah sie ja aber auch aus der Entfernung und über die hohen Mauern hinweg, die sie wegsperrten. Die Altstadt Dalis gefiel uns nicht so sehr wie die Lijiangs – das hatte einfach etwas mehr Flair, wenngleich der See unterhalb der Stadt sicher ein Plus-Punkt für die Besucher war.

Wir bummelten hier ein wenig, schoben die Räder durch die Gassen und begnügten uns letztlich damit in einem kleinen Restaurant namens „Bring me to the moon!“ das erste westliche Essen seit gefühlten Ewigkeiten zu genießen: vegetarischer Flammkuchen, Spaghetti mit Basilikum Pesto und Glühwein. Wenngleich das für unsere Verhältnisse inzwischen ganz ordentlich zu Buche schlug (umgerechnet 13 Euro) konnten wir nicht widerstehen und genossen unser Dinner auf der Dachterrasse und den Glühwein und den nepalesischen Milchtee an der Bar.

Njomnjomnjom!

Eine Nachtfahrt und eine halbe Nacht Schlaf später genossen wir unseren zweiten vollen Tag, nachdem wir uns entschieden eine weitere Nacht zu bleiben, bevor es nach Kunming und Richtung Grenze weiter gehen sollte. Das erste mal seit vielen Wochen geschah nun etwas ganz besonderes: Gar nichts. Wir taten tatsächlich einen ganzen Tag mal gar nichts. Abgesehen von Babykätzchen streicheln und Buch lesen, über Glaube und Philosophie diskutieren und gemeinsam zu Kochen und zu Essen. Es war eine solche Wohltat, die Gelassenheit und Ruhe dieses Ortes zu genießen und wir wünschten schließlich, wir hätten uns entschieden noch einen oder zweit Tage länger zu bleiben. Doch wir befürchteten, nicht rechtzeitig zur Ausreise an die Grenze zu kommen.

Und so kam es schließlich, dass wir uns auf der Gasse vor dem Hof von unseren wirklich ausgesprochen großzügigen und liebevollen Gastgebern verabschieden mussten, die uns scheinbar ihrerseits ins Herz geschlossen hatten. Wir denken gerne an sie und hoffen sie eines Tages wieder zu treffen <3

Kleiner Wegfund

On it goes!
Vom Busfahren und Busfahrern – immerhin 35! – Zurück in Stefans Hostel – Pausetag vor der Ausreise

Um die Mittagszeit etwa kamen wir an das Busterminal Nord in Dalis Downtown. Es war kein Problem, ein Ticket zu bekommen, wenngleich wir einen Bus später nehmen mussten, als geplant. Was uns eher herausforderte, war der Busfahrer. Gerade als wir die Räder in den Bus packen wollten, eröffnete er uns, er wolle 160 Yuan für ihren Transport haben. Uns sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen. 160 Yuan! 20 Euro, soviel hatten wir nicht einmal gezahlt um die Räder in die Transsib zu bekommen. Eine absolute Unverschämtheit. Und sicher nicht legal. Leider erwiesen wir uns nicht als standhaft genug, als der Busfahrer zur Eile drängte, er müsse jetzt losfahren. Natürlich hat er uns übers Ohr gehauen und da half auch nicht, dass er auf 100 Yuan herunterging.

Schließlich kamen wir jedoch in Kunming an, wenn auch am Stadtrand, was wir nicht geahnt hatten. Insgesamt fuhren wir an unserem Bus-Tag also immer noch etwas mehr als 35km mit dem Rad, bevor wir zurück zu Stefan in sein Glad Inn kamen. Auch wenn uns das Hostel nicht sonderlich gefiel und es selbst für den günstigen Preis immer noch zu schmuddelig war, kannten wir Stefan. Außerdem hatten wir zwei Gaskartuschen online hier hin bestellt. Die wurden uns ja auf den Weg nach Xichang abgenommen (siehe Anfang des Blogeintrags).

Im Hostel hatten wir schließlich endlich Zeit, diesen Blogeintrag zu schreiben – oder sagen wir: zu beginnen 🙂

Zwischenspiel: Inzwischen hat Lisa keine Schokolade mehr am Mundwinkel. Auch sitzen wir nicht mehr in besagtem Hostel in Kunming. Immerhin sind wir schon so weit, das ich folgendes in der Retrospektive weiterschreiben kann:

Das Warten auf die Bewilligung von Chris Vietnam-Visum gab uns zwei Tage Zwangspause, welche wir größtenteils auf der Dachterrasse des Hostels verbrachten, Katzen streichelten (Babykatzen!) und an deren Ende wir zwar das Visum, jedoch nicht das Gas in Händen hielten. Nun gut, wir haben ja immer noch unseren Benzinkocher, der jetzt wieder funktioniert. Gas war nur so viel einfacher und sauberer zu handeln und wir hätten mit zwei Kochern kochen können, wo wir doch schon beide mit uns herumfuhren. 😉

Am Abend des zweiten Tages in Kunming fuhren wir schließlich mit ausgedruckten Visa zum Busbahnhof um ein Ticket für den nächsten Tag, den 19. Oktober, zu bekommen – der Tag an dem unser Visum auslaufen würde. Wir fanden ein kleines Hotel mit Doppelzimmer und buchten es, doch als wir nach dem Ticketkauf dort ankamen, draußen am Stadtrand, nahe des Busterminals, erklärte uns die Inhaberin, sie könne keine Ausländer aufnehmen. (So langsam haben wir dieses Land mit seinen dummen Regeln wirklich satt.) Sie schickte uns weiter zu einem Hotel, das sich als unbezahlbares Luxushotel mit günstigen Räumen ab 45 Euro pro Nacht herausstellte. Wir lehnten ab, würden eher draußen schlafen. Doch das fand Lisa nicht so überzeugend, weshalb wir schlussendlich für die letzte Nacht in China doch noch einmal in die Stadt radelten und hier ein sauberes, bezahlbares Bett genießen durften – auch wenn wir um 6:30 Uhr dort aufbrechen müssten.

Wann waren wir das letzte mal so früh wach? Wann hat das letzte Mal der Wecker vor dem Sonnenaufgang geklingelt? Schrecklich, die Vorstellung dies jeden Tag erleiden zu müssen. Während unserer Reise sind wir in vielen Dingen abgestumpft oder auch härter geworden, aber Wecker? Oh, die kann ich noch weniger leiden als davor (Chris).

Wir haben es allerdings geschafft. Das Aufstehen und das rechtzeitig zum Bus kommen. Auf unserer Tour mussten wir einmal den Bus wechseln, doch beide Busfahrer hatten kein Interesse daran, uns für die Räder Geld abzuknöpfen. Freundliche Grenzbeamte in Hekou halfen uns schließlich, lotsten uns nacheinander durch die Passkontrollen in der Immigration-Office und halfen uns durch die Zollkontrolle, vor der sich eine lange Reihe schwer beladener Fahrräder reihte. Keine Reisenden, nein.

Kistenweise beladen mit Waren aus China rollte hier ein Rad nach dem anderen zu den Röntgen-Scannern und weiter über die Brücke über den Grenzfluss, den auch wir an dieser Stelle…

Next level
Vietnam 🙂 Okay okay. Mehr erfahrt ihr dann beim nächsten Mal! Jetzt ist’s auch wirklich mal genug …
(Spoileralarm! – Wir sind inzwischen schon raus aus der Volksrepublik China… 😛 )

Bis zum nächsten Update dann! Wir versuchen jetzt wirklich, die Abstände zwischen den Einträgen zu verkürzen und etwas knapper zu werden. Anyways, lasst uns gerne wieder Kommentare da und sagt uns, was euch gefällt, gebt Tipps, stellt Fragen 🙂 Wir freuen uns immer, von euch zu lesen!

See ya!