Danzig (PL) – Vištytis (LT)

Querfeldein und dann per GreenVelo, dem bisher bestausgebautem Radweg Polens, sind wir aus der Danziger Bucht vergangene Woche bis nach Litauen hineingeradelt, von wo aus wir dieses kleine Lebenszeichen absetzen. (Beitragsbild: Dreiländereck der Grenzen von Russland, Polen und Litauen, unserer nächsten Etappe)

Östlich Russlands(?!): Sind wir schon soweit gekommen, dass wir nach Russland schauen, um den Sonnenuntergang zu sehen

Um 17:40 Uhr am Freitag dem 31. Mai überquerten wir bei Kilometer 1.780 die Polnisch-Litauische Grenze am „Tripoint of Boarders“, dem Punkt, an dem die Ländergrenzen der drei Nationen Russland, Litauen und Polen aufeinandertreffen. Mit dieser zweiten Staatsgrenze beginnt ein neuer Abschnitt unserer Reise: Wir können mit unseren paar erlernten Phrasen Polnisch nun nichts mehr anfangen und werden nun wieder etwas neues Lernen (Litauisch) und mit Zloty ist’s jetzt auch vorbei; dafür sind wir zurück beim Euro, was uns das Umrechnen erspart. Leider durften wir gestern bereits bei der Ankunft am Campingplatz nahe Vistytis gleich lernen, dass der Euro doch ein wenig der TEuro ist, kostet die Übernachtung doch gleich mal 50 Prozent mehr als auf der anderen Seite der Grenze (jetzt 15€).

Aber zurück nach Danzig, wo wir vergangenen Freitag aufbrachen, nachdem wir in dem hübschen Café in der Altstadt so schön vegan schlemmen durften. Etwa um 14:30 Uhr, gestärkt durch ein paar Falafel und Gemüse in Dürüm gewickelt, starteten wir unsere insgesamt 90km lange Tour nach Südosten, weg von der Küste ins Landesinnere, um nach Malbórk zu kommen. Hier wollten wir uns selbst von der Schönheit und Größe der mittelalterlichen Deutschordensfestung überzeugen, der Marienburg. Auf Deichanlagen und im Bau befindlichen Radwegen rollten wir in gerader Linie nach Süden und kamen gut durch, was uns die Fahrt so spät am Nachmittag-Abend stark erleichterte. etwa um 20:30Uhr kamen wir in Malbórk an und fanden in einem Campingplatz an der Nogat einen Ersatz für die mehrfach abgesagten WarmShowers-Hostinganfragen. Und tatsächlich: Die Marienburg ist eine wahre Pracht. Bereits im fahlen Abendlicht war sie ein echter Hingucker. Ich konnte es kaum erwarten am nächsten Morgen dorthin aufzubrechen. Das Warten verkürzten mir dabei eine kleine Gruppe Italiener, die sich mit ihren Caravans hier ebenfalls aufhielten. Ob wir wohl mitleiderregend aussahen mit unseren Fertigsuppen in den Tassen* oder einfach hungrig? Jedenfalls spendierten die Lieben uns eine ihrer mitgebrachten Spezialitäten: einen heißen, dampfenden und saftigen Brotfladen, der wirklich zum dahinschmelzen lecker schmeckte! Ich (Chris)bin immernoch sooo dankbar für diesen Leckerbissen!

(*jaja, nachhaltig und gesund ist anders, aber die sind so unglaublich praktisch unterwegs, da konnte ich nicht nein sagen)

Am nächsten Morgen, nachdem wir wiedermal recht lange brauchten, um zu Frühstücken und alles zu verstauen, schoben wir unsere bepackten Räder endlich zur Burg rauf – der größten Backsteinfestung der Welt! (… haben sie uns gesagt 😉 )

Die flußabgewandte Seite der Kreuzritterfestung aus dem 14. Jahrhundert.

Ein Audioguide, den wir uns in einem kleinen Glasbau außerhalb der massiven Mauern der Burganlage gegen umgerechnet 11€ pro Person besorgten, führte uns ganze viereinhalb Stunden durche die Gemächer und Höfe, Kammern, Säle, Wirtschaftsgebäude, Türme und Hinterhöfe, das wir nachher von der schieren Menge an Eindrücken schon völlig erschlagen waren. Neben Hochmeistergemächern (privaten und „repräsentativen“), buntglasfensterreichen Rentern (Festsälen), Küchen mit 5×5 Meter großen Herden und entsprechenden Kaminen und den Räumen des Küchenmeisters (der als einziger neben dem Hochmeister ein eigenes Abort besaß), durchstreiften wir in der Hochburg auch die Räume der Ordensbrüder, der Mönche, die hier arbeiteten und beteten. Und die zur Toilette eine fünfzig Meter lange und 17 Meter hohe Brücke zum Burgturm überqueren mussten, von dem aus man sein Geschäft in den Burggraben verrichtete. Und in dem man sich – nach Fall der Hochburg – durch das Abbrennen der Brücke als letzten Zufluchtsort zurückziehen und verbarrikadieren konnte. Hier (über den Toiletten) gab es Vorräte, welche die Belagerten monatelang versorgt hätten.

Die Geschichte dieses Ortes – und die kleinen Nebengeschichten, denen wir hier lauschen konnten, faszinierten uns so sehr, dass wir nur der schieren Erschöpfung wegen nicht schafften alle Ausstellungen, die es hier gab, zu Besuchen. Eine kleine Anekdote will ich jedoch noch Teilen: Die Renter (Festsäle) waren so prächtig und reich an Fenstern, da dies die gewiefte Konstruktion zuließ, welche das Dach mit nur einer zentralen Säule im Raum hielt. Nach Südwesten ausgerichtet fiel hier die Abendsonne durch die schönen Buntglasfenster und auf die Wandgemälde, dass es den Gästen den Atem verschlagen haben muss. Jedoch hatten die hohen Herren des Ordens bzw. der Burg nicht wenige Feinde und so kam es einies Tages, dass ein Spion, der sich auf der Burg befand, durch das Schwenken seiner roten Mütze aus dem Fenster den vor der Festung lagernden Feinden das Zeichen gab, dass alle Hohen Tiere nun hier versammelt waren. Mit einem gezielten Schuß aus einer Kanone sollte die zentrale Säule und damit das gesamte Baldachim, das sie trug, zerstört und die Feinde darunter begraben werden. Der Anschlag scheiterte, die Kugel verfehlte das Ziel. Zur Mahnung wurde vom Hochmeister jedoch veranlasst, die Kugel in den Einschlagsort an der Innenliegenden Wand einzumauern, so dass man sie auch heute noch dort sieht.

Der Große Saal. Im Boden sieht man Öffnungen der Heizungsanlage. Auf der hinteren kleinen Bank oder zumindest an dieser Stelle am Kamin war des Hochmeisters Platz – der wärmste Ort und der Beste Blick auf Neuankömmlinge an der gegenüberliegenden Tür.

Wieder recht spät, etwa gegen 16:30 Uhr brachen wir – voll schöner Eindrücke – aus der Marienburg auf um nach Elbing bzw. Elblag zu fahren, etwas über 30km entfernt. Auf einem schönen Campingplatz mit Küche lernten wir Hans kennen, der uns bei ein paar Bier aus seinem Leben als Segler und Reisender berichtete – und uns ein paar Tips bzüglich unserer Route durch die Masuren gab, die als nächste Etappe anstand. Leider ist der Ständer meines Rades erneut unter dem Gewicht des Gepäcks eingeknickt und auch der Camping-Wart, ein sehr netter alter Mann, der kaum ein Wort Englisch oder Deutsch verstand, konnte uns mit seinem Werkzeug nicht helfen. Also schickte er uns zum 50 Meter entfernten Baumarkt, wo wir uns (wohlgemerkt am Sonntag!) für etwa 4,50 Euro den besten Ständer besorgten, den mein Rad für diese Reise bisher bekommen konnten. Zwar musste dafür kurz das Schaltwerk abmontiert werden, aber sowas kriegt man ja wieder hin – solala. 😉

An besagtem Sonntag ging es dann Richtung Ketrzyn (oder so ähnlich) weiter.
Für den Weg dorthin empfahl uns Hans Dobre Miasto (Guttstadt) zu besuchen, da es hier noch ein altes Kloster der Deutschordensritter gab. Hier fanden wir auch das Citta-Slow label auf den Parkbänken wieder – also inzwischen Slow City Dobre Miasto – wie passend zur „guten Stadt“!

Das Kloster der Slow City Dobre Miasto

Hiernach ging es wirkich in die Masuren weiter. Auf dem Weg in den Norden, zum GreenVelo, dem bestausgebauten Radweg Polens, ging es nach einer Nacht am See über „Heilige Linde“(eine touristisch stark frequentierte Kirche, für deren Prunk wir beim Vorbeifahren wenig Muse hatten) und Ketrzyn (mit Hitlers blöder Wolfsschanze – die Attraktion des Ortes) weiter vorbei an schönsten Landschaften mit Seen, Wäldern, Wiesen, Kühen und – wie inzwischen gewohnt – extrem vielen Störchen. Polen scheint wirklich das Land der Störche zu sein.

An dieser Stelle ist es vielleicht mal ganz schön, etwas über die Eindrücke der Natur hier zu schreiben. Was ihr bisher mitbekommen haben solltet, ist, dass Polen, ähnlich wie Nordostdeutschland, sehr viel Sand in der Landschaft bereithält – ob am Strand, in Wäldern oder mitten auf unseren Wegen. Doch obendrauf wächst – wie es mir oft scheint – eine Fülle an Flora und Fauna, wie ich sie kaum aus Deutschland gewohnt bin. Es mag natürlich auch an der Jahreszeit liegen, oder daran, dass ich seit mehr
als einem Monat an der frischen Luft, im Freien, unterwegs bin, doch bin ich wirklich fasziniert von der Menge an Blütenpflanzen, der vielfältigen und strukturreichen Landschaft mit offenen Hanglagen in Wiesen und Wäldern, vielen Hecken, alleinstehenden Feldbäumen oder Baumgruppen, viele kleine Gewässer, Sümpfe, Schilfwiesen und und und… Besonders zeigt sich der natürliche Reichtum an der schieren Fülle an Insekten. Da dominieren leider die Mücken recht oft, gefolgt von den massiven Maikäfer-Populationen, die gerade aktiv sind und einem hin und wieder gegen Hemd und Helm knallen. Doch auch Schmetterlinge, tausende, dazu Libellen unterschiedlichster Farben und Größen, Käfer, Spinnen… Hinzu kommt, neben der wahrgenommenen Vielzahl die schiere Masse. In unseren gewohnten großflächigen und intensiv bewirtschafteten Landschaften zu Hause gibt es sie kaum noch so wie hier: Insekten und Vögel. Es ist wahrhaftig umwerfend. Aber auch andere, größere Tiere finden sich hier zwischen Seen, Tümpeln und den geschwungenen Wiesenhügeln, die kleine Wälder säumen. So trafen wir hier neben Kranichen und Störchen, Reiern und Bussarden auch auf Falken, Hasen, Füchse, viiiele Rehe, Hirsche, (leider überfahrene) Dachse und GESTERN auf unseren ersten Elch! Es ist so schön, all diese Tiere immer wieder zu treffen, und das -gefühlt – immer häufiger! Hinzu
kommen die Landschaft füllende Kuhherden, Pferde und Ponies.

Tja, die wilden Tiere sind leider immer zu schnell Weg, als dass ich sie vor die Kamera bekäme. Schade. Auf dem GreenVelo Radweg muss man aber auch willig sein anzuhalten und mal ein Foto zu schießen, denn man rollt hier einfach zu gut und zu schnell durch die Landschaft. Super ausgeschildert braucht man hier auch keine Karte und kein Navi.

Und klasse Rastplätze gibt es auch alle paar Kilometer. (GreenVelo)

Während wir vom 28. bis zum 30. Mai unser Zelt gegen ein beheizbares Bungalow am See nahe Wegorzewo austauschten, um dem kalten und andauernden Regen zu entkommen, verbrachten wir die Nacht auf den 31. Mai – unseren fünften Hochzeitstag – schließlich in Goldap, nahe der Grenze zu Russland, auf einem verlassenen Campingplatz. Nun ja, verlassen war zumindest die Rezeption und der rest abgeschlossen, der Zeltplatz hingegen war zugänglich, also blieben wir. Weiter unten am See feierten einige Polen eine Art Familienfest zwischen den Anglern. Hier gab es ein Freizeitgelände mit Dixiklo und Wasseranschluss – Alles in allem: Ein super Campingplatz für Lau.

Tags drauf war es dann soweit. Nachdem wir auf den letzten Kilometern versuchten unsere letzten 20 Zloty in Essbares umzutauschen und vergeblich eine Tankstelle suchten, um Benzin für den Kocher zu bekommen, landeten wir unvermittelt an einem touristisch ausgebauten aber verwaisten Grenzstein: dem Tripoint of Boarders zwischen Russland, Polen und Litauen. Wir fuhren also einige Meter nach rechts weiter, gen Osten und konnten hier problemlos über die Grenze radeln. Durch Matsch und von Reh-, Schwein- und Fuchsspuren geprägtem, festgewordenem Matsch, rauschten wir über steile Hügel in das fremde, neue Land. Bis uns Grenzsoldaten aufhielten.

Ich bekam die Konversation nur von ferne mit, die Lisa mit den beiden Uniformierten im Cheap führte, doch sie sahen sehr freundlich aus. Und das waren sie auch: „Where do you go?“ – „We are looking for a Campsite.“ – „Okay, in Poland?“- No, in Litauen.“ – „Okay, just don’t go into the forest. Don’t go to Russia!“

So oder so ähnlich rekonstruiere ich, was ich von dem Gespräch mitbekam. Sie erklärten Lisa noch den Weg zum Campingplatz (geradeaus, dann auf der großen Straße – auf der wir bleiben sollten! – links, und immer gerade aus). Das entsprach glücklicherweise auch meinem Kenntnisstand (oder dem von OpenStreetMaps) und wir fanden etwa 10 km nördlich dann auch den, von welchem aus ich euch nun diesen Blogeintrag schreibe. Ja, Litauen ist jetzt wieder etwas anders. Meine paar Sätze und Wörter Polnisch, die ich mir angeeignet habe, kann ich jetzt vergessen. Dafür können wir wieder – ohne Umrechnung – in Euro zahlen. Was aber eben auch – wie beschreiben – wieder etwas teurer ist.

Wie geht es jetzt weiter? Der Plan ist, das Land, das wir gestern betreten haben, innerhalb einer Woche in nördlicher Richtung zu durchqueren. Ohne wieder an die Ostsee zurückzukehren. Wir haben nur noch 21 Tage, bis wir in Helsinki sein wollen, 30 bis wir über die Russische Grenze nach St. Petersburg fahren. Das heißt jetzt: Ranhalten! Also direkt nach Riga rauf, dann an der Küste weiter nach Tallin. Immerhin können wir auf der Strecke wieder etwas Geld sparen, da Wildcamping hier wieder erlaubt ist. Mal schauen wie sich die Reise weiter gestaltet. Ihr bekommt es dann spätestens hier wieder mit. 🙂 Wir radeln dann mal weiter!

Weiter geht es!

Bis dahin, beste Grüße,

euer Chris & eure Lisa!