Ha Giang – Cat Ba, Nord-Vietnam

Ein etwas anderer Blogbeitrag

Ihr schönen Menschen,

gebraucht kurz eure Vorstellungskraft. Schließt eure Augen… Halt stopp. Dann könnt ihr nicht mehr lesen. Okay. Sucht euch eine Peron, die euch vorliest 😉 und schließt dann eure Augen. So könnte es funktionieren:

Leises aber beständiges Wellenrauschen dringt an deine Ohren, gemischt mit Vogelgezwischter und dem Blätterrauschen der umliegenden Bäume. In der Ferne hörst du ein Gewirr aus Menschenstimmen, Kinderlachen. Noch etwas weiter im Hintergrund kannst du das Motoren-Rattern eines Fischkutters ausmachen. Kleine Kinderbeine stapfen im niedrigen Wasser – platsch, platsch, platsch.
Die Sonne scheint warm auf deinen Körper. Von Kopf bis Fuß. Und wäre da nicht die leichte, manchmal auch stärkere Briese, die an dir vorbeizieht wäre es fast zu warm, um es in der Sonne auszuhalten. So ist es angenehm. Unter deinen Füßen spürst du den warmen, weichen Sandstrand. Du schiebst deine Zehen tiefer in den Sand und du merkst wie die weichen Körner durch deine Zehen hindurch fließen wie kühles Wasser.
Der Geschmackt von frischem Baguette mit Schokocreme und süßen Bananen liegt dir noch auf der Zunge. (Es tut mir Leid, dass es bei uns so oft um Schokocreme geht, Dorit) Wenn du daran denkst merkt du aber nur, wie du auf ein kleines Sandkorn beisst. Tja. Sand ist am Strand eben überall. Macht aber nichts. Passt irgendwie zu dem Salz auf den Lippen.

Du sitzt mit dem Rücken zu dicken Kokospalmen und dunklen, scharfkantigen Kalksteinfelsen. Vor dir liegt ein breiter, weißer Sandstrand der rund um dich her gespickt ist mit Zapfen und Kiefernadeln deines hölzernen Schattenspenders. Jenseits des Sandes glitzert das Meer.

Genau da wo der Strand ins Meer übergeht liegt ein angespülter großer Ast, der etwas wie ein Miniaturwal aussieht. Daneben hockt ein junger Mann mit wilder blonder Mähne, welche die hochgeschobene Sonnenbrille in Zaum hält, im Sand und betrachtet aufmerksam die kleinen Krabben, die sich durch den feuchten Untergrund der seichten Brandung wühlen. Aus deiner Persektive schaut das Meer blau aus. Aus Erfahrung weißt du, dass es hier eher türkies-trüb ist als glasklar. Rechts und links ist die Bucht in der du sitzt umgeben von grün bewachsenen Karst, der zum Teil steil einige Meter in den Himmel ragt, bevor sich Pflanzen, Büsche und Bäume einen Platz zum wachsen suchen konnten. Etwas weiter im Hintergrund sind einige Fischkutter zu erkennen. Zwei größere und zwei kleinere. Die Kleineren fahren aufeinander zu, sind schneller unterwegs als die Großen und auch lauter. Vögel kreisen über dem Wasser, sind auf Fischjagt. Und dahinter schälen sich blau-grau die Umrisse weiterer Felsinseln aus dem leichten Dunst der Bucht.


Nach sechseinhalb Monaten Reise sind wir im Paradies angekommen. Genauer gesagt befinden wir uns auf Cat Ba, der großen Insel südlich der Ha Long Bay. Heute ist unser erster Tag am Strand (nachdem wir die Ostsee hinter uns gelassen haben). Morgen bleiben wir noch hier, bevor es dann weiter nach Ha Noi geht – der Hauptstadt Vietnams. Ich weiß, dass ich den Tag morgen noch einmal am Strand verbringen werde. Ob Chris das auch tut bleibt offen, denn was für mich Entspannung ist, ist für ihn eher anstrengend und umgekehrt. Aber ich bin sicher, er wird etwas finden, um nicht vor Langeweile umzukommen. Es war ein weiter Weg hierher und ich würde lügen, würde ich sagen es war immer witzig…

Chris: “Wieso?! Es war total witzig!”
Lisa: “Und was genau fandest du an dieser Quälerei bitte witzig?”
Chris: “Welche Quälerei? Das war Spaß und Abenteuer pur! Denk doch nur, denkt doch nur an…”
Lisa: “Ach ja?! An was soll ich denken?”
Chris: “Ähm, ähm, ääähm… naja, die… ähm Berge?”
Lisa: “Berge? Ernsthaft? Wir haben die letzten zwei Monate nur Berge gesehen. Damit beeindruckst du mich nicht. Anderes Beispiel?”
Chris [zögernd und unsicher]: “Naja – ähm… ähm… Leute?”
[Schweigen]
Chris [ungeduldig]: “Komm schon, so schlimm war es wirklich nicht! Wir hatten doch jede Menge… Spaß?”
Lisa [etwas entnervt]: “Ich glaube, so kommen wir nicht weiter.”
Chris [trotzig]: “Na, dann bring DU doch mal ein Beispiel! Wir können doch im Blog nicht nur schreiben wie anstrengend alles war. Immer nur Mimimi. Aber mir ist schon klar, dass du dich an nichts erinnern kannst. Du hast dich ja die ganze Zeit nur mit Podcasts und Hörbuch weggeballert.”
Lisa: “Mach mal nen Punkt. Das ist jetzt aber fies. Du kannst doch anscheinend auch keine Beispiele bringen, weil DU nämlich die ganze Zeit mit der Kamera vor den Augen rumgelaufen bist und alle fünf Meter ein Bild geschossen hast. Du hast doch selbst gar nichts mitgekriegt.”
Chris [spöttisch]: “Ach daran kannst du dich aber wieder gut erinnern.”
Lisa [Chris ignorierend]: “Dann lass uns doch mal in unser Tagebuch schauen.”
Lisa zieht das in braunes Leder gebundene Büchlein aus ihrer Lenkertasche und schlägt es im Sand vor ihnen auf.
Lisa [mit zusammengekniffenen Augen]: “Das kann doch kein Schwein lesen.”
Chris [empört]: “Kommst du mit meinen Hyroglyphen nicht klar, oder was? Gib mal her!”
Chris zieht am Buch, das Lisa noch fest in der Hand und angestrengt lesend dicht vor dem Gesicht hält. Es entsteht ein kleines Gerangel um das Tagebuch. Chris rutscht heran und versucht weiter einen Blick in das Tagebuch zu erhaschen, welches Lisa fest im Griff behält. Während beide über den seltesamen Zeichen brüten und am Tagebuch zerren gibt es plötzlich einen dumpfen Knall als Lisas und Chris’ Kopf heftig gegeneinanderstoßen.
Das Licht geht aus, der Vorhang schließt sich. Ende Szene 1.

Szene 2
Der Vorhang geht auf. Chris und Lisa erwachen auf einer Brücke. Wildes Treiben um sie her. Die schwer beladenen Packesel sind unter ihrer Fracht teilweise noch so zu erkennen, aus manchen der Paketbündel hört man lediglich ein klagendes und erschöpftes Iahen. Männer mit runden Hüten stützen die mit Schnüren zusammen gezurrten Aufbauten zu den Seiten hin ab, während sie nacheinander die lange Brücke passieren.
Chris [auf dem Boden sitzend, mit einer Hand abgestützt, die andere die Schläfe reibend; schmerzerfüllt]: “Autsch…” [sieht entrüstet zu Lisa, die bereits steht]
Lisa: “Nee, oder? Das ist jetzt nicht dein Ernst!”
Chris: “Was ist denn los? Wo sind wir überhaupt?”
Lisa: “Schau dich doch mal um. Was siehst du?”
Chris [sieht sich zu allen Seiten hin um]: “Eine Brücke, zwei Torbögen… sind das chinesische Schriftzei- sind das Esel?!”
Chris deutet auf einen Haufen Pakete, der an ihm vorübergeht.
Lisa: “Ja, Mann. Irgendetwas stimmt hier nicht.”
Chris: “Du meist weil wir wieder in China sind?”
Lisa [kopfschüttelnd]: “Also erstens sind wir nicht mehr in China, um genau zu sein. Ich meine, wir befinden uns über dem Grenzfluss. Und zweitens: das letzte Mal als wir hier waren haben die Drahtesel keine solchen Geräusche gemacht.”
Lisa deutet auf den laufenden Haufen Pakete. Chris guckt skeptisch, erwidert jedoch nichts. Lisa reibt sich den Kopf. Chris erhebt sich. Dabei rieselt Sand von seiner Hose auf seine Schuhe.
Chris [verdutzt]: “Wieso… wieso bin ich voller Sand?” Chris reibt den feinen, weisen Sand zwischen den Fingern. “Klebt wie Strandsand.”
Lisa: “Strand! Wie gerne wäre ich jetzt am- Moment mal!”
Chris und Lisa blicken sich bestürtzt an. Lisa fährt erschrocken zusammen, als sie etwas in den Hintern kneift. Quiekend fährt sie herum und erblickt einen Esel, der genüsslich an ihrem Hosenboden knabbert.
Das Licht geht aus. Ende Szene 2

Szene 3
Chris sitzt zusammengesunken auf dem Bordstein vor einem kleinen Laden in Lao Cai. Lisa läuft beständig auf und ab und beist immer wieder energisch von den eben erworbenen kleinen Waffeln ab, die sie zum Frühstück gekauft haben.
Chris: “Jetzt beruhig dich doch mal.”
Lisa: “Beruhigen?! Ich soll mich beruhigen?! Hier stehen zwei Esel. Zwei leibhaftige Esel, bepackt mit Ortlieb und Vaude Taschen. Einer davon hat meine HOSE gefressen und jetzt mampft er übrigens gerade deine Haare.”
Chris: “Das war bestimmt der Sepp.”
Lisa: “Das war bestimmt NICHT mein Sepp, der hat Ortliebtaschen dran! Sepp trägt VAUDE, klar?! Abgesehen davon, dass wir seit neuestem ESEL haben, spielt es gar keine Rolle welcher Esel das war. Merkst du das nicht? Wir sind in eine Zeitschleife geraten! Und das absolut Schlimmste daran: Wir müssen den ganzen Ha Giang Loop nochmal machen!” [Lisa rauft sich die Haare] “Ich mach das nicht. Ich pack das nicht. Nicht noch einmal.”
Chris [beschwichtigend die Hände hebend]: “Sachte, sachte, chill mal. So schlimm wars doch nicht. Komm schon, es ist doch wunderschön dort. Die Berge, Täler, die Reisfelder und abgesehen davon, kann dich doch der Sepp jetzt einfach hochtragen.”
Lisa [mit erhobener Augenbraue] setzt zu einer Entgegnung an, kommt jedoch ins Stocken.
Sam [aus dem Off]: “Yeah! It’s beautiful! Especially the part in the north, following the road along the chinese board-“
Chris & Lisa: “SAM!”
Unter lautem Hufgeklapper kommt eine junge, hagere Gestalt mit kurz geschorenen Haaren auf die Bühne geritten. Mit einem Satz schwingt sich der in Orange gehüllte Mönch von seinem Reittier. In elegant fließenden Bewegungen und mit enthusiastischem Lachen nähert er sich Chris und Lisa.
Chris [belustigt und etwas neidisch]: “Na klar. Er hat ein Rennpferd.”
Ende Szene 3

[Sam ist ein supernetter und endlos-enthusiastischer Radreisender, der mit seiner Freundin Bec Südostasien bereist. Lest hier seinen Blog oder schaut euch hier seine tollen Fotos und Dronenvideos an – später 🙂 ]

Sepp und Lisa, wie so oft zu Fuß durch die Berge Nordvietnams unterwegs

Szene 4
Lisa schiebt ihren Esel, je ein Ohr in einer Hand, vor sich den Berg hinauf während Chris locker neben ihr her trabt.
Chris: “Schatz, du musst ihn hinten anpacken, dann geht es leichter.”
Lisa reagiert nicht.
Chris sucht Augenkontakt und winkt in Lisas abwesendes und doch angespanntes Gesicht. Sie erblickt Chris und zieht fragend eine Augenbraun nach oben. Chris deutet mit beiden Zeigefingern – nun also freihändig “fahrend” – auf seine Ohren. Lisa rollt entnervt die Augen während sie angestrengt auf das Handydisplay starrt, welches im Kartenfach der Lenkertasche auf Sepps Schultern sitzt. Nach einigem energischen Tippen zieht sie schließlich erst einen, dann den anderen Kopfhörer aus den Ohren.
Chris: “Tja, scheinbar hab ich immernoch das bessere Reittier. Müsste ja eigentlich ein Stier sein. Oder ein Bulle. Wie die Radmarke eben.”
Lisa: “Deswegen hab ich jetzt meinen Podcast ausgemacht?”
Chris: “Nee, du musst hinten anpacken. Das is‘ einfacher, ich sag’s dir. Am Hintern! So wie ich’s dir am Sattel gezeigt hab.”
Lisa seufzt, Sepps Ohren unverändert verkrampft im Griff.
Lisa: “Hört das nicht mal auf? Auf meinem Tacho sind wir doch schon bei fünfzig Kilometer – wenngleich ich immernoch nicht verstehe, wie der das jetzt misst.”
Chris: “Lisa, genieß es! Jetzt bekommst du schon die Chance ein zweites mal diesen Abschnitt unserer Reise zu durchleben und wieder klagst du und lenkst dich mit Hörbüchern und Co ab.”
Lisa: “Ich habe mir das nicht ausgesucht, das nochmal zu machen und ich lenke mich mit gutem Grund ab: Ich halte dieses monotone, endlose Bergaufschieben ja sonst nicht aus!”
Chris: “Schatz, bitte, schau dich doch nur mal um! Seit wir in Ha Giang nach Norden gestartet sind und dem türkiesgrünen Fluss durch sein schlaufenreiches Tal folgten, sind wir umgeben von diesen wundervoll geschwungenen Reisterrassen, die sich – übereinander gestapelt wie Pan-Cakes – bis auf die Hügelkuppen und in die steilsten Bergflanken hinaufziehen. Manche strahlen noch im satten Gelb des reifen Reises. Wo bereits geerntet wurde zeigen andere das Dunkelbraun des fruchtbaren Erdbodens. Und die nächsten sind geflutet und spiegeln den Himmel darüber und die Silhouette der breithörnigen Wasserbüffel, die durch den Schlamm unter dem seichten Wasser der Terrasse waten. Zwischen den Reisfeldern finden sich immer wieder Holz- und Bambushütten. Man sieht aus der Ferne Kinder nahe der mit Gras und Palmwedeln gedeckten Hütten spielen. Unter den großen runden Hüten, die über die Terrassen wandern, sind bunt gekleidete Frauen zu erahnen, die ihrem Tagewerk nachgehen. Andere Frauen und Kinder kommen von den angrenzenden Feldern, den hangaufwärts gelegenen Wäldchen und der einen oder anderen Wiese auf die Straße – beladen mit übermannshohen Bündeln von Gräsern und Körben voll Kräutern. Während man die eine oder andere Frau dann mit völlig überladenen Motorrollern davonschaukeln sieht, tragen die Kinder und die gebeugten, alten Frauen Körbe voll blütenreicher Fracht an der Straße entlang – wo sie als begehrtes Motiv der vorbeisausenden Motorrad-Touristen – immer wieder für ein Foto herhalten müssen. Auf diesen sehr belebten Bergstraßen kämpfen wir uns Serpentine um Serpentine über eintausenddreihundert Höhenmeter nach oben – eine schier endlose Folge von Schwüngen, die jedoch eines besonders für sich haben: Sie geben immer wieder neu den Blick frei auf die atemberaubend wirkenden, majestätisch aufragenden und teilweise über den Tälern wie gigantische Wellen hereinzubrechend-drohenden Berge.”
[Schweigen]
Lisa: “Bist du fertig?”
Chris: “Für’s erste.” [grinst verschmitzt]
Lisa: “Gut, ich meine, auch wenn ich mich gerade nicht so in Worten darüber zergehen lassen kann, wie schön das hier ist, hast du ja recht: Es ist echt toll hier. Aber muss es “eine schier endlose Folge” von “Serpentine um Serpentine” sein? Ich kann nicht mehr!”
Chris: “Ich sag’s nur wie’s ist.” [zuckt mit den Schultern].
Lisa: “Kam dir nicht auch schon der Verdacht, dass es vielleicht genau umgekehrt ist? Dass es so-ist-wie-du-sagst? Ich meine, du sitzt da auf einem –“.
Chris unterbricht: “Pappalapapp! Wunderschön ist’s. Anstrengend, ja, aber halt auch wunderschön. Und so will ich es in Erinnerung behalten. Stell dir vor, du hättest die Tagebucheinträge alleine damit gefüllt, wie furchtbar die endlosen Aufstiege waren, die sich über Tage hinweg wiederholten!”
Lisa: “Oh nein! Hör auf! Das ist erst der erste Tag von … wieviel? Acht bis Cao Bang?”
Chris [beisst in eine der Bananen, die er einhändig von dem Bündel pflückte, das hinter ihm auf dem Seesack festgeschnürt baumelte; schmatzend]: “Japp. Die ersten Tausend von über Achttausend Höhenmeter, die ersten 50 von 350 Kilometern auf dem Weg nach Cao Bang. Noch jede Menge tolle Aussichten auf dem Weg”.
Lisa [ihren Sepp ausbremsend, der den Hals nach den Bananen reckt]: “Ich wünschte, Sam hätte das Tagebuch für uns gefüllt. Bei ihm klang das alles so einfach!”
Inzwischen wird es dunkel, doch noch ist das Ende des Aufstieges nicht in Sicht.
Lisa: “Sam und Bec haben ihre 60km Tagesetappen angeblich immer schon so um 14 Uhr geschafft. Sollten wir nicht auch langsam mal über den Berg kommen und ins Tal zu einem Guesthouse?”
Chris [nachdenklich eine weitere Banane kauend]: “Ja, so langsam wundere ich mich auch…”
Lisa: “Sag mal, hast du wirklich “schier unendlich” geschrieben?”
Chris bleibt stehen, von plötzlichem Entsetzen erfasst.

Ende Szene 4

Szene 5
Chris und Lisa stehen vor einem etwas schäbigen Hoteltresen. Eher eine Glasvitrine voll mit allerlei Krimskrams und einigen Flaschen Wasser, die man hier erwerben kann. Draußen ist es inzwischen stockdunkel.
Chris [ungläubig und amüsiert grinsend]: “Dass sich ‘Irgendwann kamen wir dann doch noch in eine kleine Stadt’ so manifestieren würde…”
Allen der vier Uhren an der Wand hinter dem Tresen fehlen sämtliche Zeiger.
Lisa nimmt mit etwas Mühe die fünf orange leuchtenden Satteltaschen zusammen und macht sich auf den Weg die Treppe hinauf, während Chris die Pässe von der – vom Feilsch-Versuch verstimmten – Hotelbetreiberin entgegen nimmt.
Lisa: “Sind wir mal froh, dass nach deinen “endlosen” Plackereien überhaupt noch ein Hotel aufhatte. Aber so wirklich gut läuft das nicht, was Sam meinte: ‘Don’t pay more then 150.000 Dong. Smile and be respectful. Tell them your story, how long you have been traveling, that you don’t have much money and the will most likely give you the room cheaper.’”
Chris [nun ebenfalls mit Taschen, Gitarre, Seesack und Bananen überladen auf der Treppe]: “Entweder der Touri-Aufschlag ist für die hier unverhandelbar oder uns fehlt einfach Sams Charisma. Ich glaub’, der könnt’ einem echt alles verkaufen! Vielleicht ham wir das mit dem ‘don’t pay more than’ auch’n bisschen zu wörtlich genommen. Wäre ja doch etwas stressfreier manchmal einfach die eins-zwei Euro mehr zu zahlen und nicht ewig zu feilschen oder weiter zu suchen. Aber alles in allem bin ich schon froh, ihn getroffen zu haben. Der war ja der wandelnde Reiseführer! Ich freu mich schon auf die Ban Gioc Wasserfälle!”
Lisa [angestrengt seufzend vor der Zimmertür wartend]: “Na, das dauert aber noch. Und jetzt nicht spoilern, klar! Ich bin ganz froh, wenn wir morgen endlich die Taschen zur Post bringen. Nur diesmal könnten wir vielleicht ein paar warme Sachen mehr behalten. Auf den Bergen wirds manchmal tatsächlich ganz schön frisch. Zumindest wenn es dann bergab geht.”
Lisa knibbelt eine der Bananen vom Bündel, das an Chris Hüfte baumelt.
Chris [mit dem Schlüssel am Schloss nestelnd]: “Naja, das Zelt hätten wir ja dann doch ab und zu gebrauchen können. Aber die Sachen dürfte ich ja wieder rumfahren. Also weg damit! Hoffen wir nur, die Daunenschlafsäcke überleben es, so lange eingepackt zu bleiben, bis wir in Hanoi sind, um sie wieder einzusammeln.”
Die Tür geht auf und beide stolpern in das kleine Zimmer, dem brettharten Bett entgegen über die ranzigen, vorne seltsam den Spitzen beraubten Badeschlappen, die standardmäßig in den Hotelzimmern zur Verfügung und oft im Weg stehen.
Lisa mit Blick zum dunklen und in diesem Moment plötzlich regengepeitschtem Fenster]: “Bei so einem Wetter willst du aber auch nicht zelten. Außerdem brauch ich nach so einem Tag definitiv ‘ne Dusche.”
In diesem Moment trifft Chris ein Wasserstrahl beim Versuch, sich im Waschbecken die Hände zu waschen. Jedoch klemmt der Knopf am Wasserhahn und die Duschbrause beginnt zu sprudel. Sie ist in dem kleinem Bad zwischen Waschbecken und Toilette an der Wand befestigt.
Chris: “Tja, gerade dem Regen entkommen… – aber muss ja eh alles in die Wäsche”
[Chris nimmt die speiende Brause von der Wand und lässt heißes Wasser in das Waschbecken. Dann steckt er die Klamotten hinein, die er eben noch anhatte. Dann fliegen Lisas Sachen dazu.]
Lisa [eine weitere der kleinen Bananen kauend]: “Eigentlich könnten wir auch ganz ohne Gepäck hier umher fahren. Das Essen ist günstig, die Nha Nghi – Hotels in der Regel bezahlbar und die Radklamotten müssen wir bei den Temperaturen und Bergen eh täglich waschen.”
Chris: “Stimmt, aber wenn du dich DANN mal einsaust… Oder wenn wir dann mal ein Problem mit den Rädern hätten oder krank würden und weder Werkzeug noch Reiseapotheke hätten.”
Lisa: “Hätte hätte Fahrradkette. Im Tagebuch steht, wir schicken meine Vorderradtaschen, den Benzinkocher, die warmen Klamotten und das Zelt weg. – Das steht dann wohl fest, was?”
Lisa reicht Chris ein Handtuch, der daraufhin aus dem Bad, den Bananenschalen ausweichend, zum Bett stolpert und sich schwungvoll darauf fallen lässt. Es gibt ein dumpfes Krachen und Chris jault auf.
Chris: “Ahhh, aua… Klar, ‘bretthart’. Das gibt morgen ein paar blaue Flecken.”
Ende Szene 5

Szene 6
Es ist stockdunkel und lediglich das fahle Licht der Stirnlampe auf Sepps Kopf erhellt den staubigen, steinigen Weg, über den sich Chris und Lisa unter beständigem Quitschen langsam und Serpentine um Serpentine bergab bewegen.
Lisa [seufzend]: “Sieben Tage auf und ab. Sieben Tage Bananen, Eier und Reis. Sieben Tage kommen wir bei Sonnenuntergang fix und fertig an. Und jetzt, ausgerechnet zum Neumond kommen wir im Nirgendwo an, es gibt keine Gasthäuser, niemand will uns helfen, die Lichter sind kaputt, Batterien sind leer und obwohl wir auf Eseln sitzen, scheint es als würden da Bremsen quitschen.”
Chris: “Entweder das oder sie haben wegen all der Bananen Verstopfungen und Schmerzen. Aber diesmal wissen wir auch immerhin, dass wir unten im Tal in zirka 2 Stunden ein kleines Gasthaus finden werden und sogar noch ein paar Fertignudeln mit Ei kriegen. Ich bin zwar froh, dass sie uns über den Tag hinweg gerettet haben, aber ich kann diese Moon-Cakes und Bananen nicht mehr sehen.”
Ein langgezogenens Quitschen ertönt, als sich beide Esel in die steile Kurve legen und Chris und Lisa versuchen nicht zu schnell zu werden, bevor die Kurve sie wieder in eine lange Gerade ausspuckt und das Quitschen nachlässt.
Lisa: “Vielleicht hätten wir doch nicht heute mittag sondern erst morgen und dafür in aller Frühe aufbrechen sollen.”
Chris: “Oh, ich wäre so gerne noch in dem schönen Hotel in Bao Lac geblieben. Ameisen hin oder her, so günstig und so schön! Und ‘nen Pausetag hätten wir auch echt gebrauchen können. Aber Madame wollte ja unbedingt heute noch die Berge hinter sich bringen.”
Lisa: “Na, aber das haben wir ja dann geschafft, was? 1.900 Höhenmeter auf nicht mal 40 Kilometern.” [Kopfschütteln]
Chris: “Tja, ab morgen geht’s dann vorwiegend flach weiter bis zur Küste!”
Lisa [ernst]: “Dein ‘flach’ hat in der Regel immernoch Mittelgebirgs-Niveau.”
Chris: “Iwo!” [kommt seufzend zum Stehen] “Wow, schau mal nach oben! So viele Sterne hab ich ja noch nie gesehen!”
Lisa [ebenfalls anhaltend, den Blick nach Oben gerichtet]: “Außer in der Ostgobi vielleicht.”
Schweigend und fasziniert blicken beide zur leuchtenden Milchstraße empor. Dann kommen bellend Hunde von der Seite zur Straße herangerannt, weshalb sich beide wieder in Bewegung setzen.
Chris: “Wären die Hunde nicht, wüsste man kaum, dass man sich schon wieder in einer Siedlung befindet, so stockdunkel ist hier alles. Keine Straßenlaternen, keine Leuchtreklame, nicht einmal Licht in den Häußern. Oder es dringt nicht nach draußen, weil die hier keine Fenster in ihren Hütten haben.”
In diesem Moment überholt ein Motorroller, dessen warmes, schwaches Scheinwerferlicht vereinzelt Gesichter von Menschen in ihren Hauseingängen erkennen lässt, die ihrerseits neugierig auf die Durchreisenden blicken.
Lisa [winkend]: “Xin chao!” [Schweigen; fröstelnd] “Schon ein bisschen creepy.”
Chris: “Schade vor allem. Da kämpft man sich den ganzen Tag Berge rauf und wenn man dann endliche eine 1000-Höhenmeter-Abfahrt genießen könnte, ist es stockfinster, die Straße kaputt und man sieht von der angeblich so wunderschönen Landschaft hier in Sichtweite der Chinesischen Grenze rein gar nichts. Geschweige denn die Straße vor sich. Oder das Schwein auf der Straße.”
Das Licht eines entgegenkommenden Lastwagens schneidet zehn Meter vor den Reisenden die Silhouette eines großen Hausschweins aus dem Dunkel der Nacht. Beide, Reisende und Lastwagen, passieren das Tier, welches ungerührt in der Mitte der Straße verharrt, bis Stille und Dunkelheit der Siedlung es wieder verschlucken.
Chris: “Aber ich will mich nicht beklagen. Es war ja schon ein toller Ritt wieder. So schön wird es jetzt bis zu den Wasserfällen nicht wieder: Wilde Karsthöhlen hinter Bananenstauden, kleine Felder und Hüttchen dazwischen, urige Baumriesen, messerscharfe Felsen, Wasserbüffel, Reisfelder und diese wortwörtlich atemberaubenden Serpentinen… [grinsend] Ach, ich bin hier schon auf meine Kosten gekommen!”
Lisa: “Freak. Dann können wir ja jetzt ans Meer, oder?”
Chris [seufzend]: “Wenn’s denn sein muss…”
Chris zwinkert Lisa zu. Eine ob der Dunkelheit ziemlich nutzloste Geste. Ein weiterer Lastwagen poltert an den Reisenden vorüber. Sie verschwinden in dessen aufgewirbelter Staubwolke.
Ende Szene 6

Szene 7
Chris: “Na, ich will eigentlich zu DER Insel da drüben. Auf 10 Uhr.”
Lisa: “Dann lenk doch da hin!”
Chris: “Aber ich hab das Gefühl, du lenkst die ganze Zeit mit und willst nach rechts paddeln.”
Lisa: “Wie soll ich denn Lenken? Du sitzt doch hinten!”
Lisa und Chris sitzen hintereinander in einem gelb-roten Kajak, das von dem zunehmenden Wellengang des nachmittäglichen Gezeitenwechsels geschaukelt wird. Mit einem langen Zug steuerbord richtet der Chris das Gefährt in die gewünschte Richtung aus, die nur nach wenigen weiteren Paddelschlägen wieder verloren geht.
Chris: “Na, dann halt da rüber.”
Lisa: “Ich hätte jetzt zu gern gewusst, was das Problem war. Vielleicht haben die sich tatsächlich ernsthaft Sorgen gemacht.”
Chris: “Oder denen hat es gestunken, dass wir nichts für den Inselbesuch bezahlt hatten.”
Lisa: “Wenn ich mir jetzt die Wellen so anschaue, waren die auf der Hinfahrt auch noch nicht so krass. Ich denke, die wenigsten machen halt so eine Tour daraus.”
Chris: “Hm, stimmt. Normalerweise kommen die Touris mit dem Touri-Dampfer zur Insel und dann paddeln die da eine Runde um die Felsen. Kommt wahrscheinlich nicht allzu oft vor, dass tatsächlich jemand acht Kilometer durch die Halong-Bucht paddelt. Ich hoffe nur Ha, die Liebe, bekommt keinen Stress, weil wir hier womöglich gar nicht paddeln dürfen. Oder weil ich in die Höhle bin, ohne was zu zahlen. Naja, hätten sie den Ticketschalter halt so bauen müssen, dass man ihn auch sieht, wenn man vom Strand und nicht nur vom Pier her kommend sieht.” [grinsend] “Wieder was gespart!”
Lisa: “Du Held. Jetzt bring uns lieber mal wieder über die Bucht. Bei unserem Zeitmanagement kommen wir sonst erst wieder mitten in der Nacht an. Ich denk nur an unseren Wasserfall-Trip. So wunderschön es in Ban Gioc und im Tempel auch war. So was wie die Nachtfahrt zurück brauch ich nicht nochmal.”
Chris: “Zumal ich mich in dieser Nussschale jetzt schon alles andere als sicher fühle.”
Lisa: “Was meinst du wie sicher ich mich hinter dir auf dem Moped gefühlt hab, du Raser!… Jetzt kannst du mal Gas geben!”
Chris: “Na, dann pass mal auf!”
Einige Paddelschläge später.
Chris [ächzend]: “Ich kann nicht mehr!” [Schweigen] “Du hast überhaupt nicht mitgepaddelt?”
Lisa [dreht sich unschuldig lächelnd zu Chris um]: “Ich hab aufgepasst.”

Ende Szene 7

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..

Chris [stöhnend]: “Au, mein Kopf…”
Chris setzt sich auf und rüttelt Lisa sanft an der Schulter, die neben ihm im Sand liegt und langsam wach wird.
Lisa: “Ich glaub ich war gerade weg getreten.” [Atmet tief durch] “Ich muss mehr trinken.”
Chris wuschelt sich mit beiden Händen den Sand aus den Haaren und blickt dann langsam auf, über Strand und Meer hinweg auf den glitzernden Horizont. Er lächelt in sich hinein und schüttelt sacht schmerzenden den Kopf.
Chris: “Hab ich einen Stuss geträumt.”